Was ist eigentlich Resilienz?
– von Susanne Scharf
»Resilienz? Was ist das denn?«, hätte ich vor einigen Jahren noch gefragt. Glücklich verheiratet,
fröhlich und zufrieden … »So schnell kann mich doch nichts erschüttern!«, dachte ich. Dann kam die Krise: Bei meinem Mann wurde Krebs diagnostiziert. Von einem Moment auf den anderen war alles anders.
Plötzlich konnten wir nicht mehr entspannt miteinander reden. Mein Mann zog sich zurück. Er wollte alles mit sich selbst ausmachen, war angespannt und schien für mich nicht mehr erreichbar. Das hat mich in eine heftige Krise gebracht. Wird es so bleiben? Wird er dahinsiechen und sich mir nicht mehr öffnen? Werde ich unseren Dienst alleine bewältigen können? Werde ich zusammenbrechen? – Mein »Boden« fing an zu wackeln. Ich fühlte mich dem Ganzen nicht gewachsen und wusste doch: Ich sollte jetzt stark sein, mich an Gott festhalten und Ihm vertrauen. Wenn das nur so einfach wäre!
Wie stabil bin ich?
Glücklicherweise hat diese Phase nicht lange gedauert. Aber sie hat mir bewusst gemacht: So stabil, wie ich selbst von mir dachte, bin ich doch nicht. Deshalb habe ich angefangen, mich mit dem Thema Resilienz zu beschäftigen und schließlich auch ausbilden zu lassen. Resilienz ist die Widerstandskraft unserer Seele. Die innere Stärke und Flexibilität, aus Krisen unbeschadet oder sogar gestärkt hervorzugehen, immer wieder aufzustehen, sich »nicht unterkriegen zu lassen«.
Das Leben gibt jedem andere Karten. Wir werden in unterschiedliche Umstände hineingeboren. Wo und wie wir aufgewachsen sind, welche Erfahrungen wir gemacht haben, und welche »Ressourcen« uns zur Verfügung stehen, ist bei jedem Menschen anders. Deshalb hat jeder eine andere Ausgangsposition. Aber Resilienz ist keine stabile Persönlichkeitseigenschaft oder ein Charakter-Merkmal, sondern eine Fähigkeit, die entwickelt und trainiert werden kann.
Herausgefunden hat das die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner (1929–2017). Sie untersuchte mit ihrem Team über 40 Jahre lang die Entwicklung von 698 Menschen, die im Jahr 1955 auf Hawaii in schwierigen familiären Verhältnissen geboren wurden. Sie entdeckte, dass zwei Drittel dieser Kinder schwere Lern- und Verhaltensstörungen entwickelten und bis zum 18. Lebensjahr straffällig wurden. Ein Drittel der Kinder wuchs jedoch zu fähigen jungen Erwachsenen heran, die keine psychischen Störungen oder Krankheiten hatten. Werner untersuchte dann, was bei diesen Kindern anders war und entdeckte bestimmte »Schutzfaktoren«. Spätere Forscher nannten sie »Wachstumsfaktoren« oder »Säulen«. Damit sind die Bereiche gemeint, die man stärken kann, um besser für die »Stürme des Lebens« gewappnet zu sein.
Resilient zu sein, bedeutet nicht, dass es keine Krisen mehr gibt. – Es bedeutet nur, dass man die Fähigkeit und Stabilität besitzt, nicht daran zu zerbrechen.
Um diese Widerstandsfähigkeit zu stärken, kann man an verschiedenen Punkten ansetzen:
1. Annahme – Sich selbst und das Leben annehmen
Hier geht es darum, mein Leben, so wie es ist, zu akzeptieren. Das heißt, vergangenen Chancen nicht mehr nachzutrauern, an mich und meine Fähigkeiten zu glauben und die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen.
- Akzeptanz – Kann ich unveränderbare Dinge akzeptieren?
- Selbstwirksamkeitserwartung – Glaube ich an meine Fähigkeiten und daran, Probleme aus eigener Kraft (und mit Gottes Hilfe) bewältigen zu können?
- Verantwortung – Bin ich bereit, die Verantwortung für Versäumnisse oder Fehler bei mir selbst zu suchen, ohne mich dabei kleinzumachen?
2. Fühlen – Mit Emotionen achtsam umgehen
Hier kann ich üben, mein Gefühlsleben bewusst wahrzunehmen, zu beeinflussen und die Impulse unter Kontrolle zu halten. Denn wenn ich meine Emotionen wahrnehme und achtsam mit ihnen umgehe, hilft mir das, dagegen anzugehen, dass ich im Zorn ungewollt »Porzellan zerschlage« oder Sachen sage, die mir später leidtun. Auch daran kann ich arbeiten …
- Lasse ich mich von meinen Emotionen leiten oder gelingt es mir, Einfluss darauf zu nehmen, wie ich mich fühle?
- Impulskontrolle: Schaffe ich es, Impulse oder reflexartige Handlungen zu hinterfragen und unter Kontrolle zu halten?
3. Verstehen – Verhalten reflektieren und Situationen hinterfragen
Wenn ich mein eigenes Verhalten bewusst unter die Lupe nehme, mich in die Denkweisen und Gefühle anderer hineinversetze und Situationen hinterfrage, kann ich komplexe Zusammenhänge in meinem Leben verstehen lernen. Mit etwas Abstand kann ich eine Situation, die für mich schwierig war, überdenken. Wie kam es dazu? Welchen Anteil habe ich, welchen andere Beteiligte? Wie war ihre Position? Was hat die Auseinandersetzung ausgelöst? So kann ich lernen, den gleichen Fehler nicht immer wieder zu machen und kann neue Fehler ausprobieren.
- Kausalanalyse – Gelingt es mir, Situationen logisch und sachlich zu analysieren und die tatsächlichen Ursachen für Probleme zu entdecken?
- Empathie – Kann ich mich auch in andere Menschen hineinversetzen?
4. Orientieren – Orientierung und Unterstützung finden
In schwierigen Zeiten nach Orientierung zu suchen, heißt einerseits, bewusst neue Lösungen zu suchen, statt stur einen alten Plan zu verfolgen. Es bedeutet andererseits aber auch, Unterstützung im sozialen Umfeld zu suchen und diese anzunehmen. Ich sollte erkennen, wann es Zeit ist, mich nicht nur auf mich selbst zu verlassen, sondern um Hilfe zu bitten. Außerdem geht es auch darum, zuversichtlich zu bleiben, dass schwierige Zeiten vorübergehen. Dazu gehört:
- realistischer Optimismus – Kann ich glauben, dass im Leben in der Regel mehr gute als schlechte Dinge passieren oder neige ich dazu, das Schlimmste zu befürchten?
- Lösungsorientierung – Glaube ich, dass grundsätzlich jedes Problem lösbar ist?
- soziale Unterstützung – Gelingt es mir, verlässliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen? Und schaffe ich es, um Hilfe zu bitten, wenn ich sie brauche?
Im Miteinander wachsen
Besonders auf diesen letzten Punkt möchte ich noch näher eingehen. Das ist der Faktor, der sich bei allen Studien als wesentlich herausgestellt hat: das soziale Netz, das uns auffängt, die Unterstützung, die wir im Sturm so dringend brauchen. Wir brauchen Menschen, die uns zur Seite stehen. Aber nicht nur das. Gerade im Sturm ist es besonders kostbar, wenn wir Jesus mit in unserem Boot haben. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Wenn wir in seinem Boot sitzen. Er kann jeden Sturm stillen. Er verspricht uns, immer an unserer Seite zu sein, selbst in den schwersten Zeiten. In Psalm 23 steht: »Selbst wenn ich durch ein finsteres Tal gehen muss, wo Todesschatten mich umgeben, fürchte ich mich vor keinem Unglück, denn du, Herr bist bei mir!«
Gott hat uns nicht versprochen, dass dem, der zu ihm gehört, keine Stürme bevorstehen. Auch wir als seine Kinder werden Stürme erleben. Aber er sagt mir zu, nah bei mir zu bleiben. Er wird mich schützen und trösten, wenn ich mit ihm unterwegs bin. In Psalm 91,14 heißt es: »Der HERR spricht: ›Ich will den erretten, der mich liebt. Ich will den beschützen, der auf meinen Namen vertraut. Wenn er zu mir ruft, will ich antworten. Ich will ihm in der Not beistehen und ihn retten und zu Ehren bringen.‹«
Wir können vorsorgen für schwierige Zeiten. Wir können unsere Resilienz stärken. Aber meiner Meinung nach ist die allerbeste Vorsorge, die wir treffen können, Gott in unser Leben einzuladen.
Wenn wir ihn besser kennenlernen und seine Liebe erleben, ist das ein Fundament, das uns trägt.
Auch in Zukunft getragen
Das letzte Jahr hat unser Leben verändert. Auch heute noch sind diese Veränderungen spürbar. Inzwischen habe ich diese schwere Zeit überwunden und fühle mich wirklich stärker. Ich bin unglaublich dankbar für all das, was ich in dieser Zeit mit Gott erleben durfte. Er ist mein fester Halt. Und ich bin mir sicher: Er wird mich tragen. Durch jeden weiteren Sturm, der kommt.
Das ist es, was ich auch dir mitgeben möchte. Es ist gut, sich selbst weiterzuentwickeln und stabiler zu werden. An jedem der oben genannten Bereiche kann man mit speziellen Übungen arbeiten. Aber noch viel besser als all das ist es, die Liebe und Fürsorge Gottes kennenzulernen. Er ist allmächtig und er bietet uns seine bedingungslose Liebe an. Willst auch du seine Hilfe erleben? Dann kannst du das jederzeit tun. Er wartet schon auf dich.