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Eine Mutter und ihr Kind spielen mit Spielzeug-Dinosauriern

Frühkindliche Bindung – unsere Erfahrungen

Woher weiß ich, ob und wann Fremdbetreuung für mein Kind in Frage kommt?

– von Tamara Trommer

Beschäftigt man sich mit der frühkindlichen Bindungstheorie, kommt man nicht um das Thema Fremdbetreuung herum. Heutzutage wird viel darüber diskutiert, unter Eltern wie auch bei Pädagogen und Politikern, ab wann eine außerfamiliäre Betreuung, also »Fremdbetreuung«, in Ordnung bzw. gut sei und welche Rahmenbedingungen dafür vorhanden sein sollten.

Wenn du gerade in dieser Phase und diesem Entscheidungsprozess bist, möchte ich mir natürlich nicht anmaßen, zu wissen, was nun genau das Richtige für dich und dein Kind ist, denn dafür ist das Thema viel zu komplex. Mein Anliegen ist es, dich mit in unsere Entwicklung als Eltern (mittlerweile haben mein Mann und ich vier wunderbare Kinder im Alter zwischen zwei und acht Jahren) hineinzunehmen und dich daran Anteil haben zu lassen. Sicherlich gibt es zahlreiche Richtlinien, Meinungen und Fakten sowohl für eine frühe Fremdbetreuung (ab 0+ Jahre) als auch eine späte Fremdbetreuung (ab drei Jahren) über die es zu diskutieren gilt, aber genau darum soll es im Einzelnen nicht gehen.

Vielmehr möchte ich dich ermutigen, den passenden Weg für dich und dein Kind zu wählen, unabhängig von dem, was andere sagen, von gesellschaftlichen Trends und Druck von außen.

Denn du und dein Kind, ihr seid es wert!

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist es vollkommen hilflos und abhängig davon, dass eine andere Person sich um es kümmert. Erfährt das Baby besonders in den ersten sechs bis acht Monaten, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen wird, es gesehen und gehört wird, wird eine gute Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich Urvertrauen und ein sicheres Bindungsgefühl entwickeln können. Ein Baby braucht also die Erfahrung, dass es geliebt ist, dass es sicher und geborgen ist. Feinfühligkeit ist hier das Schlüsselwort. Es gibt viele Gründe, warum ein Baby weint: weil es Hunger hat, weil es Nähe benötigt, das Bedürfnis nach Sauberkeit hat oder es einfach Schlaf braucht und vieles mehr. Werden diese Bedürfnisse gut gestillt, kann das Baby seinen Bezugspersonen vertrauen; in den meisten Fällen sind es die Eltern (im ersten Lebensjahr ist oft die Mutter die erste Bezugsperson, allein schon durch das Stillen).

Bindung von Anfang an
In der Bindungsentwicklung werden die ersten sechs Wochen nach John Bowlby (1907–1990, Kinderarzt, Psychoanalytiker, Kinderpsychiater) als Vorbindungsphase beschrieben. Darauf aufbauend gibt es nach seinem Vierphasenmodell noch die Entstehung der Bindung (6 Wochen bis 8 Monate), die eindeutige Bindungsphase (8–24 Monate) und die Phase gegenseitiger Beziehungen (ab 24 Monaten).

Erlebt ein Kind innerhalb dieser 24 Monate und darüber hinaus, dass auf seine Bedürfnisse feinfühlig eingegangen wird, so entsteht eine sichere Bindung (wobei es zu beachten gilt, dass beim Baby möglichst schnell gehandelt werden sollte, ein Kleinkind aber schon einmal fünf Minuten warten kann).

Eine sichere Bindung beschreibt ein Verbindungsgefühl zwischen Eltern und Kind, welches auch dann bestehen bleibt, wenn es eine Trennung von der Bindungsperson gibt.

Reagiert die Bindungsperson wiederholend unzuverlässig dem Kind gegenüber, gibt es zwar auch eine Bindung, diese ist allerdings weniger stabil und von größerer Unsicherheit geprägt.

Unser erstes Kind habe ich bereits innerhalb meiner Ausbildung bekommen. Zunächst einmal habe ich mir ein Jahr Elternzeit genommen, denn ich wusste bereits viel darüber, dass besonders das erste Lebensjahr wichtig für die Entwicklung des Bindungsverhaltens ist. Nach diesem Jahr verlängerte ich meine Elternzeit nochmals um ein halbes Jahr, ohne Elterngeld zu erhalten. Das war schon ein Glaubensschritt für uns damals. Mein Mann war zu dem Zeitpunkt Student, wir lebten in Berlin, weit weg von unseren Eltern und waren auf uns allein gestellt. Die Sorge um Finanzen, die gesellschaftliche Norm und der Druck von außen beeinflussten uns: »Mach deine Ausbildung fertig!«, »Du musst auch an dich denken.«, »Warum kommt sie denn noch nicht in den Kindergarten?«. So kam unsere Tochter mit eineinhalb Jahren in den Kindergarten. Eine hervorragende Einrichtung: christlicher Kindergarten mit guten Werten, eins zu vier Betreuungsschlüssel, sehr kompetente Pädagogen und dennoch brach es mir fast das Herz, als ich den ersten Tag wieder zur Arbeit ging.

Vom gleichzeitigen Loslassen und Halten
Besonders prägend war für mich im Nachhinein ein Ereignis: Früh morgens fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit und hatte währenddessen die Gelegenheit, mir Mut zuzusprechen, dass schon alles gut werden würde und es mir einfach schwerfiel, meine Tochter loszulassen. Ich redete mir zu: »Es ist ganz normal, dass dein Herz schwer wird und zu zerbrechen droht. Alle machen das durch, das gehört dazu.«

Bereits am Vormittag erhielt ich einen Anruf aus dem Kindergarten, dass es meiner Tochter nicht gut ginge und sie bitte abgeholt werden sollte. Innerlich machte ich mir so viele Vorwürfe. Einerseits konnte ich für meine Tochter nicht da sein, die mich so sehr brauchte und andererseits konnte ich den Erwartungen meines Arbeitsgebers in diesem Moment nicht gerecht werden. Als ich meine Tochter endlich in den Armen hielt, ich fuhr direkt nach dem Anruf los, hatte ich richtige Gewissenskonflikte. Gleichzeitig war ich beruhigt, nun für sie da sein zu können.

Nach diesem einschneidenden Erlebnis hat sich unsere Tochter mit einigen Aufs und Abs gut durchgekämpft, auch dank einer guten Erzieherin, die ihre Bedürfnisse sah und darauf einging. Allerdings würde ich heute, auch gerade wegen meines Erlebnisses und dem Wissen, dass es noch eine sensible Phase der Entwicklung des Bindungsverhaltens ist, anders entscheiden und meiner Tochter mindestens zwei Jahre Zeit geben.

Jedes Kind braucht seine Zeit
Aus heutiger Perspektive kann ich nämlich nur dankbar dafür sein, dass unsere Söhne die ersten Jahre bei uns zu Hause waren, gerade der dritte benötigte mich im dritten Lebensjahr nochmal sehr intensiv. Nun ist er gerade vier Jahre alt geworden und absolut bereit für den Kindergarten.

Sicherlich haben wir als Eltern dafür viel investiert und auch zurückgestellt: Beruf/Bildung stehen in der Warteschleife, finanzielle Einbußen, Verschnaufpausen sind gering. Wir fragen uns manchmal: Reichen unsere Kräfte überhaupt aus? Oder: Wie steht es um die Selbstfürsorge?

Außerdem sollen wir Bedenkenträgern immer wieder nervige Fragen beantworten. Hier im Osten ist es zum Beispiel ganz normal, sein Kind mit einem Jahr in die Fremdbetreuung abzugeben. Natürlich musste ich mir vieles anhören, viele haben gutgemeinte Ratschläge parat, Selbstzweifel gehören zu meinem Alltag immer wieder dazu.

Schaue ich mir jedoch unsere Kinder an, weiß ich, dass es mir das wert ist, mich ein paar Jahre zurückzunehmen.

Ich weiß auch, dass mein Erleben subjektiv ist und nicht für alle die Antwort sein kann, doch ich möchte dich dazu ermutigen, darüber nachzudenken, wie viel Gutes du deinem Kind schenken kannst, wenn es ein sicheres Bindungsgefühl entwickeln kann. Unsere Tochter hat solch ein sicheres Bindungsgefühl entwickelt, obwohl ich sie meines Erachtens damals zu früh abgegeben habe. Wiederholen würde ich es jedoch nicht. Denn auch der Kindergarten und die Erzieherinnen, das weiß ich nun, waren ein großes Geschenk und nicht die Norm.

Orientierung
Es gibt drei Fragen, welche ich als Orientierung sehr hilfreich fand, um zu entscheiden, ab wann eine Fremdbetreuung passend ist:

  • Wie ist die Qualität der Betreuung? Und auch die Quantität? (Je jünger das Kind, desto kürzer empfiehlt es sich.)
  • Ist mein Kind bereit? (Ist es sicher gebunden?)
  • Bin ich innerlich bereit, loszulassen?

Diese Komponenten können hilfreich sein, wenn du gerade vor solch einer Entscheidung stehst. Wenn du nicht alle drei positiv beantworten kannst, dann gehe noch einmal in dich, schaue dein Kind an und überdenke die Sache erneut.

Hierbei kann es auch hilfreich sein, zu schauen, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auf das spätere Erwachsenenleben unserer Kinder haben können. Denn oft wird das Bindungsverhalten von Kleinkindern fehlinterpretiert.

Kleinkinder, welche zu Beginn keine Reaktionen wie Weinen oder Schreien zeigen, wenn Mama den Raum verlässt und auch gleichgültig sind, wenn sie wiederkommt, werden in unserer Gesellschaft als sehr angenehm empfunden, da sie angepasst sind und keine Probleme machen. Doch gerade bei ihnen versteckt sich oft eine große Not. Sie zeigen vermutlich ein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten. (Anmerkung: Es gibt noch weitere Bindungstypen nach der Bindungslehre von John Bowlby und Mary Ainsworth.)

Chancen für Eltern
Keineswegs möchte ich dich mit den Informationen erschlagen, sondern dir aufzeigen, welche Chancen wir als Eltern haben, unsere Kinder dabei zu unterstützen, Beziehungsfähigkeit zu entwickeln.

Dazu gehört es nun mal, dass wir in sie hineininvestieren und darauf schauen, welche Bedürfnisse sie haben, um diese dann angemessen zu stillen.

Und das kann vielfältig aussehen, es gibt nicht das allgemeingültige Konzept. Vertraue auf deine Intuition und mache dich frei von allen Erwartungen. Du wirst es nicht bereuen, deinen individuellen Weg zu gehen, auch wenn er Mut bedeutet. Betrachte dabei nicht nur die kurzfristige Situation, in der du vielleicht stecken magst, sondern schaue, was dein Handeln langfristig verändern kann. Und schaue ich mir meine eigene Kindheit an, weiß ich umso mehr, wieviel wert es ist, für unsere Kinder da zu sein. Auch in diesem Sinne: Danke Mama, für deine Zeit, dein Dasein, dein Zuhören.

Letztlich ist es beruhigend zu wissen, dass wir einen Gott haben, der all unseren Mangel und den unserer Kinder ausfüllen kann, selbst wenn wir vielleicht einmal falsch abgebogen sind und wir es zu spät merken. Er ist gnädig!

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