Ja, nein, vielleicht?
– von Frauke Zabel
Nach dem Scheitern meiner ersten Ehe drängte sich mir die Frage auf: Bin ich eigentlich beziehungsfähig? Eine lange Reise begann und ich tauchte immer tiefer ein, um herauszufinden, wie ich Beziehungen erfüllender gestalten und leben kann.
Als Beziehungsfähigkeit beschreibt die Psychologie die Kompetenz, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, sowie Beziehungen aufzubauen und zu halten. In jedem von uns ist die Sehnsucht nach tiefen Beziehungen, emotionaler Sicherheit und Nähe angelegt. Ohne Beziehungen wären wir, vor allem zu Beginn unseres Lebens, verloren. Gott hat uns als Beziehungswesen geschaffen. Er selbst hat erkannt, »dass es nicht gut ist, wenn der Menschen allein ist« (Genesis 2,18). Gott rettete Adam aus seiner sozialen Isolation. Er schenkte ihm Eva als Gegenüber, mit der er fortan das Leben gestaltete.
Wir brauchen einander, um uns zu entfalten und zu reifen.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber beschreibt es in einem Satz: »Der Mensch wird erst am DU zum ICH.« Ok, alles klar, aber warum scheitern dann so viele Beziehungen und so viele Ehe gehen in die Brüche? Oder es scheint sich erst gar nicht der richtige Partner zu finden. Was braucht es denn für Kompetenzen und Fertigkeiten, um gute Beziehungen zu leben? Ich möchte drei wichtige Faktoren zum Gestalten von Beziehungen beleuchten.
1. Selbstliebe
»Eine gute Liebesbeziehung beginnt mit einer guten Beziehung zu dir selbst.« Diesen Satz habe ich auf meiner Reise gelesen und musste sofort an den folgenden Bibelvers denken: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, […] Und: Du sollst deinen Mitmenschen lieben, so wie du dich selbst liebst!« (Lukas 10,27) Sprich also: Liebe zuerst Gott, dann dich selbst und so auch deinen Nächsten. Puh, mich selbst lieben?
Ich konnte mich gut antreiben und niedermachen, kritisieren und doof finden, aber lieben?
Das war ein ganz schön schwieriges Unterfangen. Weil ich mich selbst nicht mochte, zu hässlich, zu dick, zu kühl, zu direkt, zu unattraktiv fand, war ich sehr unzufrieden mit mir, meinem Umfeld und meinem Leben. Das habe ich auch ausgestrahlt. Innerlich habe ich mir gewünscht, dass doch jemand von außen mir ein anderes Gefühl geben kann.
Heute weiß ich, dass ich für meine Lebensfreude, meine Gefühle und meine Zufriedenheit selbst verantwortlich bin. Ich brauche nicht drauf zu warten, dass mich jemand anderes glücklich macht. Nur wenn ich gut zu mir bin und mich selbst liebe, so wie ich bin, kann ich auch anderen Wertschätzung schenken und mich geliebt fühlen. Mein Gegenüber kann mich so sehr lieben und mir das in allen erdenklichen Weisen (durch Worte, Taten, Geschenke, Zärtlichkeiten, Zeit, etc.) zeigen, wenn in mir kein Liebesresonanzboden ist, sprich die Idee, dass ich liebenswert bin und jemand mich mögen könnte, dann kann ich die Liebe, die mir entgegengebracht wird, nicht fühlen.
Wenn du dich noch nicht selbst liebst und Sätze wie: »Mich liebt sowieso keiner. Ich bin nicht gut genug. Ich bin nicht liebenswert. Ich bin unwichtig.« über dich denkst, dann wird es Zeit, dass du dich selbst lieben lernst. Eine gute Möglichkeit ist, dir deine frühen Bindungserfahrungen anzuschauen und dir deine negativen Glaubenssätzen bewusst zu machen, um diese willkürlich festgelegten Lügen Schritt für Schritt durch Wahrheiten zu ersetzen.
Was ich über mich denke, strahle ich aus.
Selbstliebe stärkt also unsere Attraktivität, Ausstrahlungskraft und Beziehungsfähigkeit.
2. Kommunikative Fähigkeiten
»Kommunikation ist für die Beziehung, wie der Atem für das Leben«, sagte Virgina Satir, eine amerikanische Familien- und Paartherapeutin. Und ja, sie hat so recht. Wenn es schweigsam wird in der Beziehung, wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben, dann verliert sie alle Lebendigkeit. Wer lebendige, nahe Beziehungen führen möchte, braucht gut ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten. Für mich zählen zu diesen Fähigkeiten zwei wesentliche Aspekte: einmal das Reden und fast noch wichtiger das Hören.
Über Gefühle sprechen
»Innige Vertrautheit stellt sich nur ein, wenn ich die innere Freiheit habe, offen über meine Hoffnungen, Gefühle und Träume, aber auch über meine Unstimmigkeiten und Enttäuschungen zu reden und mich dadurch verletzbar zu machen.« Über Gefühle offen zu sprechen, fällt vielen schwer. Auch für mich ist das ein Punkt, an dem ich noch mächtig zu üben habe. Zum einen heißt das ja, dass ich mich erst einmal in mir selbst orientiere und weiß/fühle, wie es mir gerade geht. Wenn ich in Stress gerate, innerlich und äußerlich, dann schaltet sich alles in mir ab. Ergo: Ich weiß dann gar nicht, was ich fühle, weil ich nur im Funktionsmodus bin. Ich habe durch kleine Achtsamkeitsübungen gelernt, mit mir verbunden zu bleiben und mich auch in herausfordernden Situationen wahrzunehmen. Zum anderen muss das Wahrgenommene in Worte gebracht werden. Der Schritt ist dann nicht mehr so schwierig.
Eine wirkliche Herausforderung dabei ist für mich, meine Deckung fallen zu lassen. Wenn ich ehrlich zu meinem Gegenüber bin, mache ich mich verletzlich. Ich teile etwas sehr Persönliches, das braucht unglaublich viel Mut.
Ich bin von der Sorte toughe, starke Frau, habe gern alles im Griff und bin nicht so sehr gern auf Hilfe angewiesen. Es war für mich ein riesiges Lernfeld, vor jemandem zu weinen und ihm zu sagen, dass ich Angst habe, verzweifelt bin, mich ohnmächtig fühle. Es tut so gut, dass ich das mittlerweile bei meinem neuen Mann zulassen kann und damit eine vorher nie erlebte Intimität, Vertrautheit und Sicherheit erleben und spüren darf.
Aktives Zuhören
Jakobus sagt: »Jeder Mensch soll dazu fähig sein, gut zuzuhören. Aber er soll nicht sofort zu allem etwas sagen und erst recht nicht leicht zornig werden.« (Jakobus 1,19) Dieser Satz ist eine gute Beschreibung für das aktive Zuhören, welches in vielen Situationen hilft, zu deeskalieren und echte Verbundenheit zu schaffen. Beim aktiven Zuhören bin ich ganz beim anderen, lasse ihn ausreden und wiederhole mit meinen eigenen Worten, was ich verstanden habe und benenne die Gefühle und Stimmungen, die ich wahrnehme. Aktiv Zuhören heißt nicht, schweigend den anderen einen Monolog halten zu lassen und »Hm« oder »Ja« zu sagen, sondern mich ganz auf den anderen einzulassen und ihm damit meine volle Aufmerksamkeit und mein vollstes Interesse zu schenken. Das bedeutet auch, dass ich Abstand nehme von meiner Bewertung der Situation und vor allem halte ich mich zurück mit Lösungsvorschlägen.
Oft brauchen wir die Ohren und nicht die Lösungen unseres Gegenübers.
3. Konflikte aushalten
Paare, die eine gute Streitkultur entwickelt haben, sind zufriedener und glücklicher miteinander. Sie haben keine Angst, Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Sie befürchten nicht gleich das Ende der Beziehung. Konflikte sind die hohe Kunst der Kommunikation. Denn es bedeutet, dass ich darauf achte, meine Gefühle gut unter Kontrolle zu haben, um die Sichtweise meines Gegenübers noch wahrnehmen zu können. Wenn wir uns bei Konflikten bedroht fühlen, dann werden häufig alte Verletzungen aus unserer Kindheit angetriggert und mit ihnen auch die dazugehörigen alten, negativen Gefühle. Auch wenn es sich so anfühlt, haben sie sehr oft gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun. Sie dürfen in Seelsorge oder Beratung aufgearbeitet werden
Viele sehen daher in Konflikten das Scheitern der Beziehung. Wer sich liebt, der streitet doch nicht.
Aber wo Menschen zusammen kommen, da prallen zwei Welten aufeinander, die sehr unterschiedlich sind (das macht ja oft den Reiz aus).
Und wo etwas aufeinander prallt, wird es warm und unter Umständen auch mal hitzig.
Auseinandersetzungen halten Neuerungen und Tiefe für uns bereit und zeigen, was jedem wirklich wichtig ist.
Liebe bleibt nicht, sie schleicht sich leise aus dem Haus, wenn wir sie nicht nähren. Beziehungen brauchen Pflege und Zeit. Wir dürfen unsere Beziehungsfähigkeit erweitern, damit es noch besser wird.
Ich wünsche dir Mut, in deine Beziehungsfähigkeit zu investieren und deine Kompetenzen zu stärken, um erfüllende, tragfähige Beziehungen zu gestalten und Verbundenheit, Nähe und Innigkeit erleben zu können.
Tipp:
Setzt euch am Abend zusammen bzw. ruft einander an und überlegt gemeinsam, was euch am Tag besonders gefreut und was besonders geärgert hat. Einer erzählt davon, während der andere nur zuhört und weiter nachfragt (ohne Lösungen!). Danach tauscht ihr die Rollen.