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Pornografie und Beziehungsfähigkeit

Risiken und Nebenwirkungen von Ego-Sex

– von Kai Mauritz

Den Konsum von pornografischem Material kritisch zu bewerten, fällt mir nach mehr als 20 Jahren Beratungspraxis nicht schwer. Auch wenn Pornografie gesellschaftlich beinahe enttabuisiert und ihr Gebrauch entstigmatisiert ist, teilweise als Aufklärungsmaterial oder als Zeichen sexueller Selbstbestimmung verstanden wird, überwiegen auf der Soll-Seite eindeutig die Bedenken.

Schlaglichter zum Thema Pornografie
Aus ethischer Perspektive darf man die Herstellungsbedingungen nicht außer Acht lassen. Vielfach werden Bilder und Videos im Kontext von Zwangsprostitution, Drogenkonsum, organisiertem Verbrechen und Gewalt produziert. Selbst Missbrauchsdarstellungen von Kindern haben eine breite Anhängerschaft. Zudem wird Sex losgelöst von jeglichen Beziehungsaspekten propagiert, Personen als Objekte der Lust dargestellt statt als Frauen und Männer, deren Würde unantastbar ist.

Ziehen wir die Bibel zu Rate, finden wir zwar keinen Vers, der 1:1 über Pornografie spricht, aber das biblische Verständnis von Sexualität widerspricht den visuellen wie impliziten Inhalten von pornografischem Material eindeutig.

Sexualität im Sinne des großen Erfinders soll eingebettet sein in eine auf Dauer angelegte Partnerschaft.

In den 10 Geboten wird thematisiert, dass Verheiratete keine anderen Frauen bzw. Männer begehren sollen. Im Buch Hiob wird der Bund mit den Augen beschrieben, der beinhaltet, keine Frau mit begehrlichem Blick anzusehen. Im Neuen Testament spricht Paulus etwa vom Leib als Tempel des Heiligen Geistes.

Aber auch aus seelsorgerlicher/beraterischer/therapeutischer Sicht birgt Pornografiekonsum beachtenswerte Gefahren. Durch die Kombination von visuellen Reizen, Erregung, Masturbation und Orgasmus wird ein Cocktail von Hormonen ausgeschüttet, der zunächst schmerzdämpfend wirkt und unangenehme Gefühle oder Gedanken in den Hintergrund rückt. Das Belohnungssystem im Gehirn wird aktiviert. Darin liegt aber auch das Potential zur Selbstkonditionierung bis hin zur Sucht. Je häufiger Pornografie benutzt wird, um unangenehme Gefühle wie Frust, Langeweile, Schmerz, Traurigkeit, Selbstzweifel, Ärger usw. zu regulieren, desto automatisierter läuft dieses Verhalten ab.

Ego-Sex führt dann am Ende nicht zur sexuellen Freiheit, sondern in die Abhängigkeit.

Die persönlichen Themen, warum die Einzelnen Pornografie als Trostpflaster benutzen, bleiben unbearbeitet und wirken weiter.

Der mögliche Zusammenhang zwischen Pornografiekonsum und Beziehungsfähigkeit
Beziehungsfähigkeit ist letztlich ein Sammelbegriff für Kompetenzen und Eigenschaften, die dazu beitragen, dass Menschen gelingende Beziehungen führen können. Zu ihnen gehören beispielsweise ein gesundes Selbstbild, Zugang zu eigenen Emotionen und Bedürfnissen, Empathie, ein konstruktives Kommunikationsverhalten, Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz.

Diese Fähigkeiten werden größtenteils in der Herkunftsfamilie erlernt. Wurde der Selbstwert gefördert, über emotional Bedeutsames gesprochen, Bedürfnisse ernstgenommen?

Wer in seiner Kindheit nicht gelernt hat, mit eigenen Gefühlen umzugehen, Bedürfnisse zu artikulieren oder frustrierende Situationen konstruktiv zu gestalten; wer viel gibt und wenig für sich einfordert, braucht irgendwann ein Ventil für den inneren Mangel.

Pornografiekonsum kann diese Mangelgefühle kurzfristig und schnell dämpfen, ohne andere Menschen dafür zu brauchen.

Pornografie ist in der Regel nicht die Ursache für Beziehungsdefizite, sondern eine Bewältigungsstrategie für den Umgang mit unbewältigten Emotionen und Bedürfnissen.

Daraus kann auf Dauer aber eine Verstärkung der vorhandenen Beziehungsdefizite folgen, weil Betroffene sich konditionieren durch den wiederholten Konsum. Das Gehirn lernt, unangenehme Emotionen und Mangelgefühle mit Pornografie zu kompensieren. Alternative und beziehungsfördernde Bewältigungsstrategien wie Selbstreflexion, Austausch mit dem Partner oder anderen Beziehungspersonen über Sorgen, Ärger, Emotionen und Bedürfnisse werden nicht gewählt.

Ich denke an einen Ratsuchenden, der in einer Familie großgeworden ist, die einen starken Zusammenhalt gepflegt hat, in der es aber keinen Raum für Schwäche und Bedürftigkeit gab. Jeder hatte zu funktionieren. Er ist mit einer Frau verheiratet, die seit vielen Jahren psychisch erkrankt ist. Das gemeinsame Leben ist von erheblichen Beeinträchtigungen geprägt. Er gibt viel und unterstützt seine Frau, hat aber nie wirklich darüber nachgedacht, was er denn braucht. Pornografie war die Ecke in seinem Leben, wo er nicht funktionieren musste und seinen (unbewussten) Bedürfnissen nachgehen konnte. Allerdings wurde er so nicht glücklich und das Entspannungsgefühl war stets nur von kurzer Dauer. Zudem hat seine Frau ihn zunehmend distanziert und emotional nicht erreichbar erlebt.

Nun ist er auf dem Weg, in seinen Beziehungsfähigkeiten nachzureifen. Er lernt, seine Bedürfnisse ernst zu
nehmen, über Gefühle zu sprechen, auch mal Grenzen zu setzen, sich trösten und ermutigen zu lassen. Durch diesen Prozess nimmt sein Pornografiekonsum deutlich ab und die emotionale Nähe zu seiner Frau nimmt zu.

Pornografie und Partnerschaft
Wenn Partnerinnen vom heimlichen Pornografiekonsum ihres Partners erfahren, sehen sich viele Frauen mit einem Gefühlschaos aus Entsetzen, Wut und Scham konfrontiert. Sie fühlen sich belogen, betrogen und in ihrer Identität verunsichert.

Viele zögern, das Thema außerhalb ihrer Beziehung anzusprechen. Die Befürchtung, was andere darüber denken könnten, ist oft so groß, dass sie versuchen, alleine mit der Situation fertig zu werden. Doch nicht nur der Pornografiekonsum selbst, sondern auch daraus entstandene unverarbeitete Gefühle der Partnerin können eine Beziehung stark belasten, zu Bitterkeit führen und sich zu einer unüberwindbaren Hürde zwischen Partnern auftürmen.

Viele Frauen fragen sich, ob der Partner Pornos anschaut, weil sie nicht schön, schlank oder gut genug sind oder weil sie nicht oft genug Sex mit ihm haben. Solche Gedanken nagen am eigenen Selbstwert, sind emotional enorm belastend und führen zu einer Grundstimmung der Hilf- und Ausweglosigkeit. Tatsache ist jedoch, dass der Betroffene ein Problem mit Pornografie hat, für das er selbst die Verantwortung übernehmen muss.

Wenn eine Frau entdeckt, was ihr Partner hinter ihrem Rücken getan hat, erleidet das Vertrauen in ihn und damit ein wesentliches Standbein, auf dem die Beziehung aufgebaut ist, erheblichen Schaden. Daraus kann ein Bedürfnis entstehen, jede Bewegung des Partners kontrollieren zu wollen, um erneute Verletzungen zu vermeiden. Nicht selten würden Angehörige am liebsten das Smartphone, den Internetverlauf und Aktivitäten außer Haus genauestens unter die Lupe nehmen. Gegenseitige Kontrolle führt allerdings zu zusätzlichen Belastungen für die Beziehung und steht dem Wiederaufbau von Vertrauen eher im Weg.

Zerstörtes Vertrauen muss häufig wieder aufgebaut werden.

Seelsorgerliche Begleitung für das Paar kann eine wichtige Hilfe sein, um eine neue Basis für gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Ehemals Pornografie-Abhängige beschreiben außerdem, dass die Unterstützung ihrer Ehepartner eine enorme Ressource auf dem Weg in die Freiheit war. Den Partner annehmen, ihn unterstützen, sich aber gemeinsam gegen Pornografie stellen und das eigene, verletzte Herz zeigen kann ein Weg sein, der den abhängigen Partner enorm kräftigt für die Veränderung seiner sexuellen Gewohnheiten.

Auswege
Veränderungswege sind individuell. Kein Rezept kann allen gleichermaßen helfen. Aber es gibt mittlerweile verschiedenste Hilfsangebote, sodass Betroffene das für sie passende finden können. Im Beratungsstellennetzwerk des Weißen Kreuzes haben sich z. B. etliche Beraterinnen und Berater auf das Thema Pornografie und Sexualberatung spezialisiert (www.weisses-kreuz.de). Zudem sind verschiedene Programme auf dem Markt, an denen Auswegsuchende online oder an einer Live-Group teilnehmen können. Auch für Seelsorger und Berater bietet das Weiße Kreuz Fort- und Weiterbildungen an. Hier werden Ursachen, Hintergründe sowie methodische Zugänge vermittelt, um Menschen qualifiziert begleiten zu können, die unter ihrem Pornografiekonsum leiden.

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