Marcus Schneider ist 44 Jahre alt. Mit seiner Frau Esther hat er vier Kinder. Sie sind Teil der Credo-Gemeinde in Wuppertal, wo Marcus pastoral tätig ist. In den sozialen Medien ist er seit einigen Jahren als »breitester Pastor Deutschlands« unterwegs. Mit team-f sprach er über den Glauben, Sport und das Thema Selbstliebe. Das Interview führte Sarah Schwarz.
team-f: Du bist gelernter Theologe und setzt dich in der Credo-Kirche außerdem viel für Jugendliche ein. Erzähl doch mal ein wenig aus deinem Tätigkeitsbereich.
Marcus: Meine pastorale Tätigkeit ist vor allem in unserem »Ankerplatz Sozialwerk e. V.«. Darin haben wir auch das Fitness-Jugendzentrum »Mutig & Stark« gegründet. Wir wollen durch Sport Begegnungen schaffen, uns für Integration einsetzen und die Hoffnung von Jesus weitergeben. Das füllt einen großen Teil meiner Arbeitswelt aus und es geht viel um Connecten – sowohl im Stadtteil als auch mit den Jugendlichen und in der Kirche. Ich liebe es, an Orten zu predigen oder mit Menschen dort zu connecten, wo Kirche sonst typischerweise nicht so ist. Im September 2023 war ich beispielsweise in Hamburg im Schanzenviertel, was ja ein schönes, aber für die Kirche auch herausforderndes Viertel ist. Da war gerade Schanzenfest und ich durfte mittendrin dabei sein. Ich bin viel als Sprecher unterwegs – das ist ein ganz tolles Vorrecht.
team-f: In den sozialen Medien bist du als »breitester Pastor Deutschlands« unterwegs und treibst selbst viel Sport. Deswegen hast du ja auch ein Fitness-Jugendzentrum gegründet. Was macht ihr da?
Marcus: Wir schaffen durch Sport Begegnung. Das Studio ist – dank großzügiger Spenden – voll ausgestattet und wir können dort verschiedene Sportarten anbieten: Kampfsport, Basketball, Boxen und Kraftsport. Mein Schwerpunkt ist der Kraftsport und ich habe Teams, die die anderen Bereiche übernehmen. Training und Sport sind für mich eine Leidenschaft und über diese Leidenschaft kann man auch eine Brücke schlagen zu Menschen.
team-f: Gerade auch zu Jugendlichen. In dem Alter ist man ja auch nicht immer unbedingt zufrieden mit sich selbst. Siehst du da einen Mangel, den es zu füllen gilt?
Marcus: Definitiv. Sowohl bei mir als auch bei anderen Menschen. Das ist ein bisschen wie ein undichter Eimer. Du versuchst, da etwas reinzufüllen, aber da geht immer wieder etwas raus. Das ist auch im Glauben ein ständiger Prozess des sich Annehmens und Liebens und sich nicht vergleichen zu wollen – vor allem auch bei Jugendlichen. Bei »Mutig & Stark« haben wir auf jeden Fall auch Jugendliche mit Minderwertigkeitskomplexen und geringem Selbstwert. Um fair zu sein, muss man aber sagen, dass da eigentlich jeder mit zu kämpfen hat. Aber gerade in der Zeit der Pubertät fängt man an, viele Dinge zu hinterfragen. Wer ist mein Vorbild? Wie will ich sein?
Und genau da können wir schön ansetzen. Wir haben 30 Stunden die Woche geöffnet und nach jedem Kurs geben wir einen »Guten Gedanken« weiter. Das ist quasi nichts anderes als die »Gute Botschaft«, aber wir nennen das eben nicht Andacht, um die Jugendlichen nicht abzuschrecken. Bei einem guten Gedanken kann jeder etwas mitnehmen. Das ist wie etwas Süßes oder Leckeres – oder im Gesunden würde man vielleicht sagen: etwas Vollkornhaftes. Es geht einfach darum, etwas Positives zu vermitteln, was ja jeder erstmal gerne mitnimmt.
Wir wollen die Kids positiv bestärken. Und das tun wir, indem wir dann zum Beispiel am Ende Zitate oder einen Bibelvers weitergeben: »Du bist geliebt und wunderbar geschaffen!« (Psalm 139) Und das ist für jeden was. Auch ein Atheist, der da sitzt, kann ja hören: »Hey, wir glauben, DU bist wertvoll!«.
Und das Schöne am Glauben ist ja, dass wir sagen können, dass dein Wert eben nicht aus deiner Leistung kommt, wie es so oft wiedergegeben wird. Sondern wir sagen: Dein Wert kommt daraus, dass du geschaffen wurdest von dem Schöpfer, der dich als wertvoll erachtet, ganz unabhängig davon, was du tust oder nicht. Das Jugendzentrum heißt ja »Mutig & Stark«. Und »stark« bezieht sich eben nicht immer nur auf Muskeln und auf Körperkraft, sondern sehr wohl auf den Charakter. Und auch »mutig« ist etwas Charakterliches und nichts Körperliches.
Da ist dieser »Gute Gedanke« nach den Kursen eine tolle Möglichkeit, das weiterzugeben, denn nach Sport ist die Aufnahmefähigkeit richtig hoch. Und ich glaube, da stärken wir ganz konkret die Jugendlichen in ihrem Selbstbild.
team-f: Im Bereich Bodybuilding oder auch allgemein im Gym-Bereich hört man ja immer wieder, dass die Atmosphäre eher toxisch ist. Da ist der Druck, immer der Stärkste, Schönste, Beste zu sein, was ja auch durch sogenannte Influencer im Netz nochmal verstärkt wird. Dem wirkt ihr offensichtlich entgegen.
Marcus: In der Bibel lesen wir ja, dass wir nicht nur gegen Fleisch und Blut kämpfen, sondern auch gegen Mächte. Ich glaube, diese Mächte können unter anderem bestimmte (geistige) Strömungen oder Ansichten sein. Wie zum Beispiel, dass du dich über deine Leistung definierst und darüber dein Sein bestimmst. Gerade beim Bodybuilding ist das so, weil es immer um Vergleichen geht. Aber genau das wollen wir nicht – wir machen Kraftsport ohne Vergleichen. Deswegen gibt es bei uns beim Pumpen beispielsweise bewusst auch keine Spiegel. Optik ist nicht so wichtig. Klar, als »breitester Pastor« spiele ich persönlich natürlich auch mit der Optik, aber da geht es mir eben auch wieder darum, Brücken zu schlagen und um das Connecten mit den jungen Leuten. Die wollen sich ja auch mal was beweisen. Was ja auch okay ist – in einem gesunden Rahmen. Du musst eben merken, dass die Optik nicht so wichtig ist. Wichtig ist, dass du weißt, du bist geliebt und du bist wertvoll. Kinder und Jugendliche müssen noch lernen, dass sie stärker und gesünder sind, wenn sie sich selbst lieben. Und da ist Bodybuilding zumindest herausfordernd. Wenn das alles ist, worauf das Leben aufbaut, dann ist das sehr dünn. Ja, ich bin leidenschaftlicher Sportler, aber wenn ich mal nicht mehr trainieren können sollte, dann mache ich halt was anderes. Es darf eben nicht so wichtig sein. Viel wichtiger ist es, sein Herz zu bewahren und Christus als Zentrum im Leben zu haben.
Das ist natürlich immer leicht gesagt und ich glaube, das ist ein ständiger Prozess, der für mich auch heißt, zu versuchen, Jesus ähnlicher zu werden. Der Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Allein von dem, was von außen auf mich eindringt, aber eben auch was in mir selbst abläuft. Ich merke zwar, ich werde immer heiler, aber da sind immer noch Sachen, die ich kompensiere, obwohl ich es gar nicht muss.
team-f: Was hilft dir bei diesem Prozess?
Marcus: Auszeiten. Manchmal braucht man einfach Ruhe, um in sich hineinzuhorchen und auch zu gucken, was da alles drinsteckt, welche Antreiber man hat und was wirklich das Herz erfüllen möchte. Ist es Gott/Jesus oder ist das alles nur christliche Fassade und ich versuche dann doch, es mit anderen Dingen zu kompensieren? Warum reagiere ich so? Wo kompensiere ich etwas? Wichtig ist für mich eine Zeit, in der ich über diese Dinge nachdenke. Das hat auch etwas mit Selbstliebe zu tun und dem sich selbst Annehmen.
team-f: Was bedeutet denn für dich gesunde Selbstliebe?
Marcus: Unter anderem zu wissen, dass ich niemals so wie ich bin vollkommen sein werde. Zu wissen, dass das ein Prozess ist. Selbstliebe ist nie abgeschlossen, so nach dem Motto: »Jetzt liebe ich mich und alles ist cool.«
Selbstliebe beginnt da, wo ich verstehe, wer ich in Jesus bin. Danach ist es dann noch eine lange Reise.
Der negative bzw. ernüchternde Part ist, dass ich erkenne, dass ich auf der einen Seite ohnmächtig bin, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Gottes Liebe zu verdienen. Auf der anderen Seite ist aber der schöne Part, dass wir als Kinder Gottes angenommen wurden in Jesus, dass wir Vergebung haben und dass wir trotz allem einfach so sein dürfen, wie wir sind. Ich glaube, für uns gilt auch das, was der Vater in Markus 1 zu Jesus nach seiner Taufe sagt: »Hey, du bist mein geliebtes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe!« Und da kommt dann eben kein »Aber wenn …« – wir sind bedingungslos geliebt. Das können wir jetzt noch gar nicht richtig verstehen, das wird erst im Himmel zu 100 Prozent abgeschlossen sein, aber ich glaube, diese Gewissheit ist ein ganz tiefes Meer, in das wir eintauchen dürfen. Und ich glaube, das startet mit dieser zweifachen Erkenntnis: Wer man selbst ist, wie ohnmächtig und sündig auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite sind wir geliebt und angenommen in Jesus durch das, was er im Tod für uns getan hat. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, mit den eigenen Ressourcen, den Dingen, die man hat, gesund umzugehen und keinen Raubbau zu betreiben – körperlich durch Sport aber auch emotional. Als Pastor ist das immer so eine Gefahr, die Dringlichkeit der anderen über die eigene Selbstliebe zu stellen. Das funktioniert auf lange Sicht nicht. Wenn ich mich nicht mehr um mich selbst kümmere, werde ich ausbrennen und zerbrechen.
Ich merke auch, dass Leute, die einen gesunden Selbstwert haben, eine gesunde Selbstliebe, auch diejenigen sind, die dann auf andere schauen. Es ist eben kein narzisstisches, egozentrisches Lieben, sondern ein Bewusstmachen, wer man in Christus ist. Und das ist auch ein wichtiger Teil der Selbstliebe – dort, wo Christi Wille mein Wille wird. Dann sehe ich die Aufgabe, die vor mir liegt. Dass ganz viele Menschen diese Liebe nicht haben, dass es ganz vielen Menschen schlecht geht. Dann ist die Aufgabe, diese Hoffnung und Liebe weiterzugeben – was natürlich ganz klassisch Kirche bauen bedeutet. Aber in meinem Fall eben auch, soziale Gerechtigkeit zu suchen, Menschen etwas Gutes tun und ihnen zu helfen.
Und ganz wichtig ist eben auch ein gesundes Leben, dass ich auf mich achte. Dazu gehören für mich der Sabbat, Ruhezeiten, Sport, Zeit mit der Familie, mit meinen Kindern und natürlich auch, meine Berufung und meinen Dienst zu leben, meine Kirche. Aber eben auch, wie ich mit meinen Ressourcen umgehe. Manchmal merke ich, dass ich mir zu viel vornehme und voll gestresst bin. Und wenn ich gestresst bin, bin ich überhaupt nicht cool und meine Familie kriegt das ab und ich selbst kriege das auch ab. Ich habe gelernt, dass es gut ist, wenn auch mein Terminkalender diese Werte und das, was mir wichtig ist, widerspiegelt. Denn dann kann ich alles im richtigen Tempo zur richtigen Zeit tun. Auch das ist für mich Selbstliebe.
team-f: Du bist selbst Vater von Jugendlichen. Siehst du dich da auch in einer Vorbildfunktion, wenn es darum geht, die Selbstliebe deiner Kinder zu stärken?
Marcus: Auf jeden Fall. Genauso, wie ich von Jesus hören muss, dass ich bedingungslos vom Vater im Himmel geliebt bin, ist es ganz, ganz wichtig, dass ich das meinen eigenen Kindern vermittle und es eben auch sage. Wenn die Kinder morgens aus dem Haus gehen, dann gibt es beispielsweise noch eine Umarmung. Oder abends, wenn sie ins Bett gehen: »Ich hab dich lieb!« Das sehe ich auch als meine Aufgabe und ich mache das total gerne.
Auch wenn es bei uns mal echt busy ist, ist es ganz wichtig, dass wir im Alltag diese Momente haben, wo wir sagen: »Hey, ich sehe dich! Du bist geliebt! Schön, dass es dich gibt! Wie geht es dir?« – Ich glaube, das stärkt die Selbstliebe meiner Kinder. Denn sie wissen, dass sie geliebt sind. Das ist das Fundament: Sie sind bedingungslos geliebt – von Gott, aber auch von ihren Eltern.
Wir haben vor kurzem ein Andachtsbuch als Familie gelesen, da ging es ganz viel darum, dass wir geliebt sind und auch, was das überhaupt bedeutet. Das ist eine ganz konkrete Art, wie wir als Family diesen Gedanken festigen können. Am Frühstückstisch arbeiten wir das dann durch (das klappt mal besser, mal weniger gut). So etwas im Familien-Alltag einzubauen, prägt auch. Ich glaube, es ist immer die Summe der Dinge, die das stärken.
team-f: Hast du noch etwas, das du zum Abschluss loswerden willst?
Marcus: Zur Selbstliebe gehört ganz viel Geduld mit sich selbst. Ganz oft klappt das nämlich gar nicht so einfach. Auf Social Media klappt immer alles, wir sind alle super. So scheint es zumindest. Aber ich glaube, ganz oft scheitern wir auch darin, uns selbst zu lieben, uns anzunehmen und mit uns selbst nicht so hart ins Gericht zu gehen. Da müssen wir uns immer wieder sagen: »Das ist okay. Ich bin noch auf dem Weg.« Wir sind eben nicht Christus. Und wenn ich mir die Jünger anschaue, was das für ein chaotischer, sündiger, brutal fehlender Haufen war, dann denke ich, ich bin da eigentlich ganz gut aufgehoben in der Truppe, da ist auch noch Platz für mich.
Mein Fazit ist also:
Hab Geduld mit dir selbst!