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Fehler dürfen sein

Für mehr Gelassenheit in der Familie

– von Sonja Brocksieper

»Ob eine Familie heil ist oder nicht, zeigt sich daran, wie sie mit Veränderungen und Brüchen umgeht, ob es Vergebung gibt und ob Scheitern und Lernen erlaubt sind. Ob es inmitten des Alltags auch bedingungslose Liebe geht.«

Mit diesen Sätzen macht der Psychologe Lars Mandelkow in seinem Buch »Der Bullerbü Komplex« sehr schön deutlich, dass das gesunde Maß für das familiäre Miteinander nicht eine heile Welt wie in Astrid Lindgrens Bullerbü Geschichten ist, sondern eine liebevolle Grundhaltung. Weiter schreibt er: »Was Kinder und Jugendliche vor allem brauchen, sind sichere Eltern, Männer und Frauen, die sich ihrer Rolle und Grenzen bewusst sind. Menschen, die es gut sein lassen können.« Mir gefällt dieser Ansatz sehr, weil darin eine große Chance steckt, dass Eltern mit sich selbst und mit ihren Kindern ein Stück gnädiger durchs Leben gehen können. Sowohl Eltern als auch Kinder brauchen den Freiraum, dass sie nicht immer perfekt handeln und auch mal Fehler machen dürfen.

Ein gnädiger Umgang mit sich selbst
Eltern wollen ihren Job gut machen und viele tragen sogar den Vorsatz in sich, dass sie es besser machen wollen als ihre Eltern. Sie wollen nicht die Erziehungsfehler machen, unter denen sie gelitten haben, als sie selbst Kinder waren. Das ist durchaus lobenswert, weil es für alle ein Gewinn ist, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und auf dieser Grundlage die Erziehung der eigenen Kinder bewusst zu gestalten.

Allerdings kann es problematisch wer den, wenn Eltern das Familienleben mit dem Anspruch gestalten, dass immer alles rund laufen wird, wenn man sich nur ordentlich investiert und den »richtigen« Erziehungsstil wählt.

Ein weitverbreiteter pädagogischer Ansatz, der heute in vielen Elternblogs, Podcasts oder Erziehungsratgebern zu finden ist, ist die bedürfnisorientierte Erziehung. Der begrüßenswerte Gedanke dieses Ansatzes ist, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung die Grunderfahrung brauchen, dass sie verlässliche Eltern an ihrer Seite haben, die auf ihre körperlichen und emotionalen Bedürfnisse eingehen. Diese Aussagen kann ich zu hundert Prozent unterstreichen. Allerdings birgt diese Idee auch eine gewisse Gefahr – nämlich, dass Eltern die Bedürfnisse der Kinder über die eigenen stellen. Wenn sich über einen langen Zeitraum alles ums Kind dreht – sei es das stündliche Stillen, das permanente Tragen des Babys am Körper, das Kochen des Extraessens, der tägliche Taxiservice, die Ermöglichung jeden Hobbys oder das Engagement im Schulverein –, können sich Eltern völlig aufreiben.

Und neben der Bedürfnisorientierung ist auch der Druck, den unsere Leistungsgesellschaft auf junge Eltern ausübt, nicht zu unterschätzen. Nur wenn du dein Kind maximal förderst, kann es später im Beruf mal mithalten. So geben Eltern Tag für Tag ihr Bestes und fördern ihr Kind durchs Leben. Trotz dem kommen zwischendurch Zweifel auf, ob man auch wirklich genug getan hat. Und nicht selten nagt auch noch das schlechte Gewissen im Herzen vieler Eltern, wenn man an den eigenen Ansprüchen scheitert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich an manchen Abenden ein blödes Gefühl mit mir herumschleppte, weil es am Nachmittag Stress wegen der nicht gemachten Hausaufgaben oder überzogenen Medienzeiten gab. War ich vielleicht doch hier oder da zu streng oder zu nachlässig? Hab ich wirklich richtig reagiert? Solches Grübeln kann sehr belasten, wenn es zum ständigen Begleiter wird.

Genau in dieses Szenario hinein empfiehlt Lars Mandelkow, dass wir es als Eltern gut sein lassen können.

Kinder brauchen keine Eltern, die es perfekt machen, sondern Eltern, die sich ihrer selbst sicher und ihren Kindern zugewandt sind.

Für ein Kind ist es keine Katastrophe, wenn es nicht jeden Mittag sein Lieblingsessen bekommt. Die Kinderseele zerbricht nicht daran, wenn Papa sich mal im Ton vergriffen hatte, ob wohl er so doch gar nicht mit seinem Kind sprechen wollte. Es wird zu keinen lebenslangen Narben kommen, wenn man ein Baby mal ein paar Minuten länger weinen lassen musste, weil gerade das andere Kind die Aufmerksamkeit von Mama brauchte. Eine bedürfnisorientierte Erziehung ist gut, hat aber da eine Grenze, wenn ich mich selbst in meiner Elternrolle verliere. Wichtig ist, dass Eltern die Botschaft vermitteln, dass sie für ihre Kinder der Fels in der Brandung sind, wenn es drauf ankommt. Ich möchte Eltern wirklich ermutigen, sich ein Stückchen zu entspannen. Damit meine ich keine gleichgültige Haltung, sondern einen angemessenen und gnädigen Umgang mit sich selbst.

Wenn Eltern nicht zu stolz sind, ihre Kinder um Vergebung zu bitten und wenn Annahme und Wertschätzung das Miteinander bestimmen, dürfen Eltern Fehler sein.

Die wichtigste Botschaft für Kinder: Ich liebe dich, egal was kommt!
Genauso dürfen auch Kinder Fehler machen. Es gehört zur kindlichen Entwicklung einfach dazu, dass sie nicht alles richtig machen können. Sicherlich ist es manchmal auch so, dass Kinder absichtlich nicht auf ihre Eltern hören. Aber in den meisten Fällen ist das Fehlverhalten von Kindern nicht in bewusstem Ungehorsam begründet, sondern einfach darin, dass sie Kinder sind und aufgrund ihrer Unreife noch unglaublich viel lernen müssen. So ist es eine gute Hilfe, wenn wir als Eltern in den Grenzübertretungen eines Kindes nicht einen Angriff auf uns Eltern sehen, sondern vielmehr eine Chance, etwas Neues zu lernen. Haben Kinder einen Fehler gemacht, sollte es nicht unser erstes Ansinnen sein, das schlechte Verhalten in den Fokus zu nehmen, sondern vielmehr zu überlegen, welchen Entwicklungsschritt das Kind nun machen kann. Denn wenn ein Kind die Folgen seines Handelns erlebt, kann es sich Schritt für Schritt zu einer reifen Persönlichkeit entwickeln.

Wichtig bei all dem ist immer, dass niemals die gute Beziehung zwischen Eltern und Kind auf dem Spiel steht. »Wenn du jetzt nicht deinen Teller leer ist, hat die Mama dich nicht mehr lieb.« ist ein Beispiel für Sätze, die Kinder tief verunsichern können. Niemals sollte die Liebe von Mama und Papa vom guten Verhalten des Kindes abhängig gemacht werden. Ganz im Gegenteil – stattdessen brauchen Kinder die Sicherheit:

»Egal welchen Mist ich gebaut habe, ich kann immer zu meinen Eltern kommen.« Wenn wir diese Haltung vermitteln, geben wir Kindern eine kostbare Basis mit ins Leben, die dann zum Segen für die nächste Generation werden kann.

Kerstin und Helmut, Mitarbeiter unserer Erziehungsseminare, berichten davon, wie wertvoll diese Prägung in ihrer eigenen Kindheit für ihr Familienleben war: »Bereits in unseren Elternhäusern durften wir erleben, dass Fehler machen ›erlaubt‹ war. Dadurch fiel es uns nicht allzu schwer, mit Fehlern unserer Kinder konstruktiv umzugehen und sie zu ermutigen, das nächste Mal besser aufzupassen oder es besser zu machen. Unsere Liebe zu ihnen haben wir nie in Frage gestellt. So durften wir sehen, dass die Kinder mit egal was sehr zeitnah zu uns gekommen sind, gerade auch mit ihren Missgeschicken. Mittlerweile sind alle drei erwachsen und wir dürfen uns gewiss sein, dass alles in Ordnung ist, wenn wir mal eine Zeit lang nichts von ihnen hören. Ansonsten würden sie sich bei uns melden.«

Aber was kann man machen, wenn man selbst nicht auf eine solche gute Prägung zurückgreifen kann? Auch dann ist es nicht zu spät!

Jede Generation hat eine neue Chance, Kindern bedingungslose Liebe zu vermitteln und für ein Familienklima zu sorgen, in dem Fehler erlaubt sind.

Vielleicht ist es dafür notwendig, die eigenen Kindheitserfahrungen seelsorgerlich aufzuarbeiten, aber ich bin sicher, dass mit Gottes Hilfe neue Wege möglich sind, weil er selbst immer für gute Beziehungen ist. Der Autor Thomas Meyerhöfer beschreibt in seiner Autobiografie »Found« die Krisen seines Lebens, die er sich gemeinsam mit Jesus im Rückblick auf eine sehr heilsame Art ansieht. In einem fiktiven Dialog sagt Jesus an einer Stelle: »Ich beende keine Beziehung. Nie. Die Tür steht immer offen. Immer. […] jede Entscheidung zieht Konsequenzen fürs Leben nach sich. Folgen deines Handelns, die gelebt und manchmal auch ertragen werden müssen. Das ist so. Doch mir daraus ein ›ab sofort sind wir keine Freunde‹ mehr zu unterstellen, ist falsch […].«

Die Worte von Jesus haben mich sehr berührt, weil sie so gut Gottes Herz beschreiben. Egal, wie sich Gottes Kinder entscheiden, die Beziehung wird niemals beendet. Wie kostbar ist es, wenn auch wir Eltern unseren Kindern so unsere Liebe versichern. Bedingungslose Liebe heißt nicht, dass wir unseren Kindern Konsequenzen ersparen oder jede Hürde aus dem Weg räumen, sondern dass trotz aller Fehler die Tür zu unserem Herzen immer offen ist.

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