Versagensängste und positive Fehlerkultur im Einklang
– von Sarah Schwarz
Fehler machen und dafür gefeiert werden – das gibt es nicht wirklich. Doch! Ein finnischer Spieleentwickler macht es vor. Anstatt nur wenige, sichere Projekte zu entwickeln, setzt das Unternehmen auf Masse. Dass bei hunderten Projekten nur eine geringe Anzahl ein Erfolg werden, ist da vorprogrammiert. Und während erfolgreiche Spiele mit Bier und einer Party gefeiert werden, wird bei den »gescheiterten« Projekten der Sekt rausgeholt. Und anschließend geschaut, welche Lehren aus dem Scheitern gezogen werden können.
Eine ähnliche Philosophie verfolgen die sogenannten »FuckUp-Nights«. Was in kleiner Runde von Freunden in Mexiko entstand, hat mittlerweile weltweit Fuß gefasst. In zehn bis fünfzehnminütigen Vorträgen erzählen Menschen von ihren wirtschaftlichen Misserfolgen – oder um es ein bisschen deutlicher zu sagen: wie sie ihre Unternehmen vor die Wand gefahren haben. Inhalt dieser Vorträge sind auch immer Learnings, die sie daraus gezogen haben und die sie den Anwesenden mit geben wollen. So lernen nicht nur die »Geschädigten« aus ihren Fehlern, sondern auch andere.
Positive Fehlerkultur
Viele Firmen etablieren mittlerweile eine positive Fehlerkultur. Die Mitarbeitenden sollen keine Angst mehr haben vor Fehlern (und vor allem davor, diese zuzugeben). Hier wurde verstanden, dass Fehler zum Leben dazugehören und es besser ist, aus ihnen zu lernen, anstatt Vermeidungsstrategien zu fahren. Das wirkt sich auch direkt auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden im Betrieb aus.
Die Idee hinter der positiven Fehlerkultur ist es, keine Rückschläge in Misserfolgen zu sehen, sondern Fehler zu akzeptieren und durch sie stetig die Arbeitsabläufe zu optimieren und zu verbessern.
Sozusagen das Positive im Negativen finden und gemeinsam die richtigen Schlüsse daraus ziehen – ohne mit dem Finger auf den vermeintlich Schuldigen zu zeigen. Man hinterfragt vielmehr, warum der Fehler passiert ist und nicht, wem. So soll den Mitarbeitenden die Angst genommen werden, auf Fehler und Probleme hinzuweisen.
Die Angst vorm Versagen
Wie können wir das nun aus der Unternehmenswelt in unser Leben übertragen? Vor allem in einer Kultur, in der Fehler so gar nicht positiv behaftet sind und viele Menschen mit Versagensängsten zu kämpfen haben.
Persönlich bin ich eine sehr perfektionistisch veranlagte Frau, die Fehler unbedingt vermeiden will. Zumindest war das viele Jahre der Fall und ich fand mich in einer Abwärtsspirale wieder. Die Ängste vor Fehlern und Versagen wuchsen; die Szenarien, die ich mir als potentielle Ergebnisse von Fehlern ausmalte, wurden immer katastrophaler. Das führte bald dazu, dass ich Situationen mied, in denen ich gegebenenfalls Fehler hätte machen können. Ich wurde übervorsichtig und isolierte mich immer mehr. Lange waren das auch schon nicht mehr »nur« Versagensängste im beruflichen Umfeld. Meine engsten Beziehungen litten darunter und die Ängste dominierten mein Leben.
Hätte, hätte, Fahrradkette
Was mir geholfen hat, war – neben vielen wichtigen Gesprächen – die simple Erkenntnis, dass ich es eh nicht ändern kann. Ich werde Fehler niemals ganz vermeiden können und wenn ich ein erfülltes Leben leben möchte, dann muss ich mich diesen Ängsten stellen und akzeptieren, dass Versagen ein Teil des Lebens ist. Wobei ich versuche, nicht mehr in der Kategorie »Versagen« zu denken – stattdessen glaube ich an »Wachstum«.
Ja, ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht – einige davon auch mehr oder weniger dramatisch. Kann ich sie im Nachhinein rückgängig machen? Nein. Kann ich rückblickend sagen, dass sie mich geprägt haben? Definitiv – sowohl negativ als auch positiv. Möchte ich sie missen? Eigentlich nicht, denn sie haben mich zu der Person gemacht, die ich heute bin.
Sie haben mich wachsen lassen und ich habe mich auf immer neue Arten selbst kennengelernt.
Natürlich gibt es Fehler, die sind wirklich fatal, das möchte ich gar nicht abstreiten. Wenn bei einem Flugzeug beispielsweise das Fahrwerk fehlerhaft angebracht ist, kann das im schlimmsten Fall Todesopfer zur Folge haben. Mein Glück ist es, in meinem Leben »nur« Fehler gemacht zu haben, die mich persönlich (negativ) beeinflusst haben, zu Schaden ist sonst niemand gekommen.
Und jetzt?
Die Angst vorm Versagen wird wahrscheinlich immer Teil meines Lebens sein, so bin ich einfach gestrickt. Aber ich habe in den letzten Jahren gelernt, dieser Angst zu begegnen und ihr nicht die Hoheit über mein Leben zu geben. Und wenn dann doch einmal eine Befürchtung eintritt, ein Fehler passiert, verfalle ich nicht in eine Schockstarre, sondern versuche herauszufinden, warum mir der Fehler passiert ist und wie ich daran wachsen kann. Das macht auch die Ängste kleiner.
Und es hat mein eigenes Mindset verändert. Während ich jahrelang sicher war, dass Katastrophenszenarien auf Fehler folgen würden, gelange ich mehr und mehr zu einer inneren Überzeugung, dass ich auch mit Herausforderungen gut umgehen und schwierige Situationen meistern kann. Auch nehme ich mir ein Vorbild an der positiven Fehlerkultur, mit der viele Firmen gut fahren, und gebe mein Bestes, meine Fehler zu feiern. Das ist ein Prozess, der mich nun seit einiger Zeit begleitet und in dem ich immer weiter lerne. Außerdem habe ich aufgehört, mir die katastrophalsten Szenarien auszumalen. Ja, natürlich kann sich durch einen Fehler von mir die Erde auftun und mich verschlucken. Aber seien wir mal ganz ehrlich, wie wahrscheinlich ist das?