Kinder im medialen Zeitalter
– von Wilfried Brüning
Erziehung war nie einfach, nicht einmal vor den Zeiten des Internets. Aber seit der Entwicklung des Internets scheint sie für viele Eltern zu einem schier unlösbaren Problem zu werden. Ich möchte Eltern dazu ermutigen, diesen schwierigen Erziehungsauftrag aktiv anzunehmen.
Das Medienzeitalter hat in den letzten Jahren richtig an Fahrt aufgenommen. Digitale Medien sind überall: im Berufsleben, in der Freizeit – das Internet ist längst selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens.
Alle sind begeistert von den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten und ganz besonders unsere Kinder. Sie bewegen sich stunden- und tagelang in der virtuellen Welt und durchschauen die Technik schneller, als wir Eltern World Wide Web aussprechen können. Facebook, Twitter, Instagram, TikTok, WhatsApp, Onlinespiele etc. prägen das Freizeitverhalten und die Kommunikation unserer Kinder enorm. Kein Jugendlicher, der nicht an der Bushaltestelle mal eben kurz sein Smartphone checkt.
Unsere Kinder werden – anders als die Generation vor ihnen – in zwei Welten hinein geboren: die reale Welt und die digitale.
In der digitalen Welt kennen sie sich bestens aus – aber wie ist das mit der realen Welt? Kann ein Kind, das perfekt auf dem iPad zeichnen kann, einen echten Stift sicher über ein Blatt Papier führen? Kann ein Junge, der an der Playstation jedes Fußballspiel gewinnt, in der Realität auch den Ball perfekt führen? Ist die Ausgewogenheit zwischen realem und digitalem Leben bei unseren Kindern gegeben?
Uns Eltern kommen so langsam Zweifel. Ist das alles noch gut für unsere Kinder? Auch Erzieher und Lehrer schlagen Alarm: Sie melden zunehmend unruhige Klassen und Kinder, die sich nicht mehr dauerhaft auf ein Thema konzentrieren können.
Die Bedenken von Eltern und Pädagogen sind berechtigt
Eltern finden sich in einer Bredouille wieder: erlauben oder verbieten? Kinder sollen die Möglichkeiten der digitalen Welt ja schließlich nicht »verschlafen«. Eltern sind oft von der Angst getrieben, ihre Kinder könnten den Anschluss verpassen, den Anforderungen des modernen Arbeitslebens später nicht gewachsen sein. Andererseits sollen sie sich zu starken, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln.
Die Antwort kann also nur sein: erlauben und begrenzen. Bedenkenlos zu erlauben ist die aktive Mediennutzung: Radio, Bücher, Zeitschriften, Hörspiele, Musik, Recherche im Internet und natürlich für alle schulischen Zwecke. Aber auch der kreative, schöpferische Umgang mit Bild,- Schnitt,- und Tonprogrammen ist unproblematisch. Solange unsere Kinder die Neuen Medien als ein Werkzeug begreifen, mit dem man eigene Werke schafft (Fotosafari, selber Filme drehen, Musik produzieren), ist gegen den Einsatz digitaler Technik nichts einzuwenden.
Begrenzt werden muss der Bildschirmmedienkonsum, also ausgerechnet die Lieblingsbeschäftigung unserer Kinder: Fernsehen, Youtube, Computer- und Konsolenspiele, Chats, usw.
Gehirnforscher können ziemlich genaue Auskünfte auf die Frage geben, warum sich übermäßiger Bildschirmmedienkonsum negativ auf die Entwicklung unserer Kinder auswirkt.
Dieses gelingt ihnen durch bildgebende Verfahren, mit denen sie wichtige Entwicklungsschritte unserer Kinder sichtbar machen können. Sie haben in den letzten Jahren viele Erkenntnisse darüber gewonnen, unter welchen Bedingungen sich unsere Kinder prächtig entwickeln und unter welchen eben nicht.
Folgende Aspekte sind hierbei interessant:
1. Wie entwickelt sich das Gehirn unserer Kinder?
Wir alle kommen mit einer phantastischen Grundausstattung an Neuronen auf die Welt. Fast alle ohne Aufgabe, aber alle begierig darauf, an die Arbeit zu kommen. Doch dazu müssen sie von ihren eigenen Nutzern erst noch aktiviert werden. Eins ist dabei klar: Fernseher bringen die Neuronen unserer Kinder nicht auf die nötige »Betriebstemperatur«.
2. Wie funktioniert das Lernen lernen?
Unser Gehirn ist eine geniale Zusammenhangs-Suchmaschine. Es will also immer lernen, auch beim Fernsehen. Das Problem ist nur: Mit den Regeln, die man beim Fernsehen lernt, kann man keine Hausaufgaben lösen. Hier kann man den Flimmertakt und den Lerntakt gegenüberstellen, wobei sich der Flimmertakt zum »Feind« aller Lehrenden entwickelt halt. Und noch eine Frage: Kann gerade erworbenes Wissen durch übermäßigen Bildschirmmedienkonsum wieder überschrieben werden?
3. Metakompetenzen – warum werden diese immer wichtiger?
In der heutigen Berufswelt kommt es immer weniger auf das pure Wissen, sondern vielmehr auf die sogenannten »Soft Skills« an. Metakompetenzen, früher auch als Schlüsselqualifikationen bezeichnet, bilden die Statik für das Selbstvertrauen in das eigene Können unserer Kinder. Reale Erfahrungen fördern diese Kompetenzen, virtuelle leider nicht.
4. Über Dopaminduschen
Dopamin ist ein Botenstoff, den unser Gehirn ausschüttet, um uns zu belohnen, z. B. dann, wenn wir ein Problem gelöst haben. Nach diesem »Glückshormon« sind wir Menschen regelrecht süchtig, weil es uns gute Gefühle verschafft. Computerspiele haben da eine ganz tückische Eigenschaft: Sobald sich unsere Kinder z. B. vor eine Spielkonsole setzen, erhöht sich die Dopaminfrequenz sofort um 50 Prozent, bei Gewaltspielen um 100 Prozent. Kinder werden hier schneller belohnt, viel schneller als für Erfolgserlebnisse im realen Leben.
Die versprochenen Dopamine sind also ein Erklärung dafür, dass unsere Kinder drei Stunden hochkonzentriert vor einem Computerspiel verweilen können, vor einer Matheaufgabe noch nicht einmal 10 Minuten… Was wir nicht vergessen dürfen: Wenn wir Kinder wären, säßen wir genauso begeistert vor den Konsolen, um jede Minute »Verlängerung der Medienzeit« kämpfend.
Anhand dieser vier Aspekte wird klar: Wenn Eltern wollen, dass sich ihre Kinder zu glücklichen, lebensbejahenden und selbstständigen Menschen entwickeln, müssen sie ihren Erziehungsauftrag um eine unangenehme Aufgabe erweitern: Sie müssen den Bildschirmmedienkonsum ihrer Kinder jeweils altersgemäß begrenzen. Damit sie schwierige Aufgaben mit einem guten Gewissen und einer starken inneren Haltung bewältigen können, möchte ich hier noch einmal betonen:
Eine Begrenzung des Bildschirmmedienkonsums ist keine Willkür, sondern für die Entwicklung unserer Kinder unbedingt notwendig.
Ähnlich wie beim Zähne putzen (siehe Karius und Baktus) sollen unsere Kinder Regeln lernen, wie sie ihre fantastischen Neuronen vor dem Verkümmern schützen können.
Was noch wichtig ist:
Es geht nicht um eine Verteufelung der neuen Medien! Es wäre widersprüchlich, wenn jemand, der selbst Medien produziert, diese verteufeln würde. Ich bin nicht gegen das Netz. Ich bin auch nicht gegen die neuen Medien. Meiner Meinung nach geht es auch gar nicht darum, dafür oder dagegen zu sein, man kann auch nicht gegen das Wetter oder gegen die Farbe des Himmels sein. Die digitale Revolution ist nicht mehr umkehrbar. Ich möchte unsere Kinder für das Mediale stark machen, damit sie Herr bzw. Frau in ihren Köpfen bleiben, damit sie über die digitalen Medien bestimmen können und nicht umgekehrt.
Die größte Medienkompetenz besitzt der, der sein Leben durch die neuen Medien weder reglementieren noch beherrschen lässt.