Wenn nur einer in der Partnerschaft neue Schritte geht
– von Andrea Offe
In der Beratung kommt es immer wieder vor, dass ein Partner oder eine Partnerin sich alleine auf den Weg macht, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wie können wir damit umgehen, wenn der oder die andere sich aber nicht mit auf den Weg begibt?
Der Prozess während einer Beratung ist manchmal wie eine Bergwanderung. Auf dem Weg gibt es die eine oder andere schöne Blume zu entdecken, die im Alltagstrubel schnell übersehen werden kann. Oft geht der Weg an Steinen, Dornen und Brennnesseln vorbei, wo es schmerzt, piekt und Tränen vergossen werden. Wenn nach einiger Anstrengung der Gipfel erreicht ist, ermöglicht dies einen ganz neuen Blick: Aus der Entfernung kann man erkennen, wo Flüsse und Seen, Felder, Wälder oder auch Ansiedlungen sind, wo es enge Wege oder breite Straßen gibt und in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen.
Freiheit und Weite machen sich breit. Spätestens dann ist da oft der Wunsch, dass der Partner sich auch auf den Weg begibt und es ist frustrierend, wenn das nicht geschieht. Wie kann man dann damit umgehen?
Hier meine Tipps:
Nimm einen Schulterblick vor.
Wer in Bewegung ist, hat manchmal so sehr ein bestimmtes Ziel vor Augen, dass er aus den Augen verliert, was hinter ihm ist. Da hilft ein Schulterblick, um zu sehen, wo der Partner gerade steht und wieviel Raum er zur Bewegung hat. Manchmal nimmt einer viel Raum in Form von Platz, Zeit oder auch Geld für seine Bewegungen ein, sodass für den anderen nur wenig Bewegungsspielraum bleibt. Gibt es vielleicht andere Lebensbereiche, in denen sich der Partner mehr bewegt?
Akzeptiere, dass ihr ein unterschiedliches Tempo habt.
Es ist hilfreich, die eigenen Schritte zu gehen und sich darin zu üben, dem anderen die Freiheit zu lassen, Schritte im eigenen Tempo zu gehen oder es eben auch zu lassen. Wenn einer sich bewegt, verändert sich etwas im ganzen System der Beziehungen, sei es in der Ehe, Familie oder auch im Kollegenteam.
Für die Beziehungen ist es sehr hilfreich, dem anderen trotz aller Herausforderung zuzugestehen, dass er in seinem Tempo gehen und selbst entscheiden kann, ob er sich überhaupt auf den Weg begibt. Je mehr einer in eine Richtung zieht oder treibt, desto mehr Widerstand wird entstehen. Derjenige, der sich bewegt, hat dann aber auch die Chance, mal einen ganz anderen Blick auf alles zu werfen. Und das kann sehr bereichern.
Erkenne eigene Hindernisse, die der Bewegung des Partners im Weg stehen.
Manchmal sind es sogar eigene Verhaltensweisen, die Bewegung beim anderen verhindern, zum Beispiel alte unverarbeitete Verletzungen aus der Kindheit. Wer immer funktionieren musste und viel Verantwortung getragen hat, erlebt oft das gleiche Muster in den Beziehungen wieder und übernimmt vielleicht ungefragt Verantwortung für den anderen. Dieser fühlt sich bevormundet, zieht sich zurück und nimmt als Schutz oder aus Resignation eine Abwehrhaltung ein. Für manch einen ist es auch ein Gewinn, derjenige zu sein, der zur Veränderung bereit ist und sich als »besser« einstuft als den anderen.
Schau deinen Partner aus der Perspektive Gottes an.
Für manch einen ist eine Bewegung sehr schmerzhaft. Jemand mit Knieverletzung wird eine Gipfelbesteigung vermeiden, denn das wäre eine Überforderung. Andere haben Schwäche in der Kindheit als so negativ erlebt (z. B. psychische oder körperliche Erkrankung oder Alkoholabhängigkeit eines Elternteils), dass es unmöglich erscheint, eigene Schwächen zuzugeben und Beratung in Anspruch zu nehmen. Gerade wenn sehr Schweres erlebt wurde, kann es sein, dass bestimmte Verhaltensweisen aufgrund des Traumas »feststecken« und ohne professionelle Hilfe kaum veränderbar sind. Dann tut es besonders weh, wenn der andere sich nicht bewegt. Jesus sieht unsere Tränen darüber und er weint mit.
Wenn wir mit Gottes Hilfe das »Stillstehen« des anderen verstehen und einander Wertschätzung entgegenbringen, dann ist das ein guter Nährboden dafür, dass auch beim anderen der Wunsch nach Veränderung wachsen kann. Aber das bleibt die Entscheidung und Verantwortung des anderen.
Identifiziere Erwartungen und Bedürfnisse.
Weitere Hindernisse können ausgesprochene oder unausgesprochenen Erwartungen und Vorhaltungen an den Partner sein. Sätze mit »immer« und »nie« oder »Der andere sollte …« weisen darauf hin. Sie erzeugen direkten oder indirekten Druck, dem anderen lieber aus dem Weg zu gehen. Hinter dem Satz »Nie bringst du mir Blumen mit!« könnte zum Beispiel das Bedürfnis nach Liebe stecken; ein Geschenk bedeutet für denjenigen, dass ein anderer an ihn denkt und ihm eine Freude machen will. Wenn man das als offene Bitte äußert, ist es für den anderen viel leichter, das gern zu geben, was in seinem Ermessen steht. Der Psychologe Marshall B. Rosenberg hat dazu viel Hilfreiches in seinem Buch »Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation« geschrieben.
Manchmal ist auch unbewusst der Wunsch vorhanden, dass der Partner ein kindliches Bedürfnis stillt, das früher vom Vater oder der Mutter nicht erfüllt wurde. Das ist eine Überforderung für den Partner und es ist auch nicht seine Aufgabe, das zu erfüllen.
Bitte Jesus darum, die Bedürfnisse zu stillen, die hinter den Erwartungshaltungen stecken.
Die tiefen Verletzungen brauchen Trost von Jesus. Jesus ist besser als jeder Mensch in der Lage, uns wirklich zu geben, was wir brauchen. Ihm können wir alles klagen und uns jeden Tag Trost und Versorgung abholen. Manchen hilft es, dabei die Hand auf das eigene Herz zu legen, um zu spüren, wie Trost im Herzen ankommt. Wir können Jesus auch bitten, uns in der Kommunikation mit dem Partner zu unterstützen. ER weiß immer wieder sehr gut, welche Worte der andere braucht, um etwas zu verstehen.
Achte auf die Art und Weise, wie etwas verbal und nonverbal gesagt wird.
Vermeide in der Wortwahl Vorhaltungen wie »Du machst das, weil …« Frage stattdessen nach: »Könnte es sein, dass …?« Wenn du merkst, dass deine Worte und dein Ton nicht wertschätzend waren, bitte den anderen um Vergebung.
Bitte Jesus um Hilfe, eine wertschätzende abwartende Haltung einzunehmen.
Dazu gehört es auch, nicht nur den Blick auf das zu richten, was nicht ist, sondern auf die kleinen Dinge, die da sind. Es ist gut, einmal mehr den Fokus auf die Schätze im anderen zu richten … Das, was schon gemeinsam gemeistert wurde, was miteinander verbindet. Danke deinem Partner und auch Gott für das, was du dabei entdeckst.
Vergib dem anderen sehr konkret.
Vergebung heißt nicht, dass der andere Recht hat, sondern dass du dein Recht auf Rache und Wiedergutmachung an Gott abgibst und ihn Richter sein lässt und die Schuld nicht nachträgst. Denn Jesus hat schon für diese Schuld gesühnt. Und er beschenkt dich mit Frieden in deinem Herzen, wenn du loslässt.
Segne deinen Partner.
Wenn das nicht geht, bitte Gott darum, dir dabei zu helfen.
Noch ein Hinweis
Mir liegt es am Herzen darauf hinzuweisen, dass es in diesem Zusammenhang aber auch Grenzen gibt. Niemand muss sich alles gefallen lassen. Wenn das Wohl eines Menschen oder eines Kindes in Gefahr ist, dann ist es wichtig, schnell Hilfe in Anspruch zu nehmen, um eine für alle sichere Situation zu schaffen. Niemand muss sich wiederholt als Fußmatte benutzen lassen. In einem System, in dem es beispielsweise eine Person gibt, die Gewalt anwendet, an einer Sucht leidet oder der auf keinen Fall widersprochen werden darf, weil es dann eine lautstarke Auseinandersetzung geben würde, vor der sich alle fürchten oder die durch Manipulation und Erpressung immer wieder ihre Ziele erreicht, dürfen und müssen Grenzen gesetzt werden. Sonst wird der Schaden, der entsteht, immer größer und das destruktive Verhalten sich immer weiter ausbreiten.
Ich wünsche dir viel Mut, weiter in Bewegung zu bleiben oder dich auf den Weg zu machen, den »Gipfelblick« einzunehmen. Und ich wünsche dir, dass du erlebst, wie liebevoll Jesus dich versorgt mit dem, was du brauchst an Trost, Ermutigung und Weisheit. Dass du es genießen kannst, wie ER mit dir mitgeht, dich schützt, unterstützt, dir den Rücken stärkt, dich auch mal ein Stückchen trägt oder sich mit dir gemütlich auf eine Bank setzt. Ganz egal, ob sich dein Partner dazu setzt oder nicht.
Meine persönliche Erfahrung
Als ich mich auf den Weg gemacht habe, Beratung in Anspruch zu nehmen, war auch mein Wunsch sehr groß, dass mein Mann in diese Richtung geht. Ich hätte es am liebsten gehabt, wenn die Seelsorgerin mir schriftlich mitgegeben hätte, dass es nötig sei, dass er sich auch jemanden sucht. Stattdessen sagte sie, ich sei ja diejenige, die hier sei. Bekanntlich seien wir selbst ja die einzige Person, auf deren Veränderung wir Einfluss haben … Das war ernüchternd.
Im Laufe der Zeit erkannte ich, mit was für einem Korb an Erwartungen an meinen Mann ich herumlief. Er musste doch merken, dass ich mal Ruhe brauchte und könnte doch mal von selbst auf die Idee kommen, z. B. mit den Kindern auf den Spielplatz zu gehen oder mal Blumen mitzubringen oder einfach nur mal zu kochen. Kam er aber nicht. Und in mir brodelte es. Diese Erwartungen und das Brodeln waren natürlich für ihn spürbar und sorgten für Distanz.
Als ich lernte, meine Bedürfnisse als offenen Wunsch auszusprechen und auch vor allem von Jesus Versorgung zu erbitten, änderte sich einiges in unserer Beziehung. Für mich war es ein Lernprozess, meinem Mann sein eigenes Tempo zu lassen. Irgendwann hat er dann einige Seelsorgekurse besucht, aber Beratung oder Seelsorge hat er nicht in Anspruch genommen. Und dennoch sind wir heute einander näher, als wir es jemals waren. Gott sei Dank für seine Arbeit an unseren Herzen!