Mit offenen Augen lieben?![1]
von Cornelia Arnold
Endlich verliebt, Schmetterlinge im Bauch… Jeder wünscht sich dieses prickelnde Gefühl und verbindet damit die Hoffnung, dass es nie mehr aufhören möge und ein Leben lang verbinden soll, möglichst bis ins hohe Alter. Tief in uns lebt die große Sehnsucht nach einer ganz exklusiven Beziehung.
Dabei ist einerseits unser großer Wunsch, uns einer liebevollen Autorität anzuvertrauen. Andererseits suchen wir einen Menschen, der uns möglichst seelenverwandt ist und uns ohne große Worte versteht, der zu uns hält und tief mit uns verbunden ist. Wir sind hin- und hergerissen zwischen den Polen Bindung und Autonomie.
Vernunft vs. Emotionen
Die Vernunfträt uns tief im Inneren, einen Partner zu finden, der gut zu uns passt. Wir beobachten immer wieder, dass die Paare sich tendenziell am glücklichsten bezeichnen, die einander ähnlich sind, ähnliche Hobbys, eine ähnliche Weltanschauung, Begeisterungsfähigkeit, einen ähnlichen Humor, ähnliche Lebenskonzepte haben.
Unsere Emotionen suchen aber auch die reizvollen Unterschiede, z. B. das Starke, das Unerreichbare, das Abenteuer, das Geheimnisvolle, den Nervenkitzel, das Erstaunliche als „perfekte Ergänzung“.
Dabei hoffen wir alle unbewusst darauf, mit „dem” Partner fürs Leben süße Kindheitserfahrungen wieder zum Leben erwecken zu können und Schmerzhaftes, Unangenehmes endlich mit ihm zu überwinden. Wir suchen uns mit großer Treffsicherheit die Konstellation aus, die wir aus der Kindheit schon kennen, in der Hoffnung, dies mit dem Partner nun ganz anders zu erleben. Dabei rechnen wir erst mal gar nicht damit, dass diese Unterschiede eventuell zur Bedrohung werden könnten, weil wir so verliebt und fasziniert sind.
Der Blick in die Herkunftsfamilie
Die Suche nach dem perfekten Partner ist emotional verknüpft mit Erlebnissen aus der Vergangenheit, mit der Sehnsucht nach dem perfekten Vater/der perfekten Mutter und dies führt immer wieder zu psychologischen Phänomenen:
- Frauen, die unter einem jähzornigen Vater litten, suchen sich oft jähzornige Partner.
- Frauen, die die Erfahrung gemacht haben, dass auf den Vater kein Verlass war,
erleben so oft auch ihren Partner. - Männer, die von ihren Müttern als Bübchen oder Vaterersatz behandelt wurden, werden von ihrer Partnerin oft nicht ernst genommen.
- Männer die sich als Junge sehr um ihre kranke Mutter bemüht haben, wählen evtl. eine Frau, die unter chronischen Depressionen leidet.
Jedoch entwickeln sich Faszination und Wirklichkeit scheinbar schnell auseinander. Wir alle sind paralysiert von Verliebtheitsgefühlen, die uns die Werbung schon beim Eis schlecken versprich: magische Anziehung, die niemand aufhalten kann. Dabei wird dieses verrückte Verliebtheitsgefühl in der Hauptsache von Verlustangst oder der Angst, nicht zu genügen, angetrieben. Die Angst, den Partner zu verlieren oder ihn doch nicht so zu beeindrucken, spornt uns zu Höchstleistungen an. Verlustangst bringt unser Inneres in Wallung, gerade so als würden wir am Rand eines Abgrunds stehen und dieses komische Kribbeln im Magen spüren: Wann hab ich ihn oder sie endlich sicher und nur für mich?
Sobald aber der Partner erobert ist und wir uns sicher und relativ fest mit ihm verbunden fühlen, lässt das große Begehren nach und unser Anspruch auf Eigenes und persönliche Befindlichkeiten werden wieder größer, die
Verliebtheitsgefühle dementsprechend kleiner. Den Fisch, den man geangelt hat, füttert doch auch keiner mehr, sagt ein altes Sprichwort.
Die Natur hat es weise eingerichtet, dass dieses Gefühl durch Fürsorglichkeit abgelöst wird, wenn uns Kinder geboren werden, da der Fokus dann mehr auf der Familie liegt.
Wir alle wissen, dass es mittelfristig darauf ankommt, sich und den Anderen nicht mit Erwartungen zu überfordern, Frust auszuhalten und nicht starr auf unserer eigenen Position zu beharren. Doch spielen die Kindheitswünsche, Vorstellungen, Sehnsüchte und Träume häufig eine größere Rolle bei der Partnerwahl und bilden die Wurzel für unbewusste Erwartungen. Man kann in diesem Zusammenhang schon von einer eher verhängnisvollen Anziehung sprechen, mit der wir fast alle zu kämpfen haben.
Aufschlussreich ist, dass sich immer wieder ähnliche Beziehungsthemen einstellen, die eine Paardynamik antreiben: z. B. Macht, Leid und Mangel, Nähe und Abstand, Selbstwert, Verantwortung, Sexualität. Hierin zeigt sich oft, wie sehr wir darauf bedacht sind, einen Ausgleich für unseren erlebten Mangel im Gegenüber zu finden. Jeder von uns hat seine Vorlieben und Schmerzen aus der Vergangenheit mitgebracht und hofft nun auf Erlösung oder Optimierung seiner bisherigen Situation.
Durch die rosarote Brille
In der Verliebtheitsphase scheint alles gut zu sein und wir haben das Gefühl, endlich richtig zu leben. Es entsteht emotionale Bindung, die wir uns immer wünschten und die uns das Gefühl gibt, für immer glücklich zu sein.
In einer glücklichen Beziehung soll aber möglichst jeder auch eine eigenständige Persönlichkeit bleiben. Nach der Verliebtheitsphase (nach ca. ein bis zwei Jahren) setzt unser Autonomie-Instinkt ein und wir beginnen, um unsere Unabhängigkeit zu kämpfen. Plötzlich dreht sich der Wind und wir sehen den Vertrauten evtl. als Besatzer oder Feind, der uns blockiert und einengt. Wo sind plötzlich all die Schmetterlinge?
Vor dieser Art Ernüchterung haben wir alle großen Respekt und hoffen, dass sie möglichst an uns vorüber gehen möge. Unabhängigkeit und sich Verlieben sind zwei unterschiedliche Komponenten, die aber unglaublich viel miteinander zu tun haben.
Sich der Realität zu stellen, heißt, sich selbst einen guten Platz zu geben und Ernüchterung zuzulassen.
Die Frage ist: In welches Muster habe ich mich verliebt? Möglicherweise nur in das Bild eines mir perfekt erscheinenden Partners? Habe ich meinen Anspruch oder meine unerfüllten Kindheitswünsche an die erste Stelle gesetzt und mich von ihnen verzaubern und antreiben lassen? Soll der Partner nun endlich meinen Bedarf an Anerkennung decken, die ich früher nie bekam? Brauche ich ihn zur Bestätigung meiner Person? Oder brauche ich ihn/sie als nettes Vorzeigemodell? Bin ich mir selbst nahe? Kann ich allein auch glücklich sein? Bin ich bereit, einem potenziellen Partner auf Augenhöhe zu begegnen und Widerstände oder Wertschätzung zeitnah auszudrücken ohne persönlich gekränkt oder reserviert zu sein?
Was ist deine Motivation für eine gelingende Beziehung? Was glaubst du, zu brauchen und was brauchst du wirklich? Ab einem gewissen Alter, lohnt es sich, einfach genauer zu untersuchen, welche Motive dich antreiben und welche Vorstellungen du evtl. aus deiner Vergangenheit mitbringst, die dich immer wieder in die gleiche schwierige Situation bringen. Oft werden wir von unserem untergründig wirkenden Vermeidungsverhalten zurückgehalten, der Realität wirklich zu begegnen.
»Der Mensch wird am Du zum Ich!«
Dieser bekannte Spruch von Martin Buber beschreibt, dass wir nur durch Begegnung und Zulassen von Begegnung wirklich erfahren können, wer wir sind und wie wir das nächste Mal besser reagieren können. Ja, Niederlagen sind Erfolge, denn sie zwingen uns, beweglicher zu werden und nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Durch sie haben wir die Möglichkeit, kreativer und innovativer zu werden. Ein gutes Ziel könnte es sein, für den Anderen zu einem wohlwollenden Gönner und Unterstützer zu werden. Echte Liebe kann nur gelingen, wenn ich den Anderen nicht zum Objekt meiner eigenen Maßnahmen und Bedürfnisse mache. Ich wünsche dir, dass du dich am Du besser kennenlernst, gute Entscheidungen triffst und in dir selbst zu Hause sein kannst.
Und ich stelle mir vor, dass Gott am Spielfeldrand unseres Lebens steht und dich anfeuert, dir zu vertrauen und andere wertzuschätzen. Fair Play mit Herz und Verstand ist sein Slogan.
Du bist begabt, kostbar und voller kreativer Ideen. Lerne, dir zu vertrauen und Herausforderungen anzunehmen! Glaube daran, dass du gute Entscheidungen treffen kannst und wirst und dass der, der in dir ist, stärker ist, als alles was dich von deinem Glück abzuhalten versucht!
[1] Quelle: Jörg Berger, Mit offenen Augen lieben: das Geheimnis der Partnerwahl, Francke Buchhandlung 2009