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Sexualität und Gemeinde

Empfehlungen für das Thema Sexualität in der christlichen Jugendarbeit

– von Jenni Paulus

„Seid doch mal ehrlich: Wenn ihr vor der Hochzeit zusammenzieht, dann stellt ihr doch keinen Kaktus zwischen euch ins Bett.“ Dieser Satz ist mir hängen geblieben. Das war meine Begegnung mit dem Thema Sexualität im Jugendkreis. Was sollte dieses Bild uns sagen?

Es war der einzige Abend zum Thema Sexualität, an den ich mich erinnern kann. Ehepaare waren eingeladen, um darüber zu sprechen. Die Aussage mit dem Kaktus irritiert mich, ehrlich gesagt, bis heute. Was genau wollte das Paar uns damit sagen? Wollten sie mit uns ihre Erfahrungen teilen? Sind sie selbst vor der Hochzeit zusammengezogen und haben dann miteinander geschlafen? Oder eben gerade nicht? Wollten sie uns ihre eigene Haltung zu dem Thema Sex vor der Ehe vermitteln? Oder die Moral, die für uns gelten sollte?

Klar ist: Hier wurde etwas vorweggenommen. Ihr würdet es nicht schaffen, zusammen im Bett zu schlafen und nicht übereinander herzufallen. Was mich persönlich daran stört: Mit einer solchen Metapher – wenn man sie nicht gemeinsam auslegt und hinterfragt – kommt es nicht zu einem wirklichen Austausch über Sexualität. Da entsteht eine moralisierende Haltung, aber keine Offenheit, die ich mir persönlich so sehr wünschen würde.

Sexualpädagogik in der Kirchengemeinde
Meine Zeit im Jugendkreis ist schon ein paar Jahre her. Das Thema Sexualität hat es mir aber angetan. Als ich in meinem eher konservativ geprägten Freundeskreis mitbekommen habe, wie Freundinnen sogar nach ihrer Eheschließung noch mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen hatten, wenn es um ihre Sexualität ging, wollte ich mich vertiefend damit befassen.

So habe ich meine Bachelorarbeit zum Thema „Sexualpädagogik in der Kirchengemeinde“ geschrieben. Ich habe mich damit beschäftigt, wie Sexualpädagogik im Allgemeinen gestaltet wird, ob es eine christliche Sexualpädagogik gibt und wie sie in der Praxis aussehen könnte. Dafür habe ich eine Umfrage durchgeführt und junge Erwachsene, die sich in christlichen Kreisen bewegten, befragt, wie ihre Erfahrungen mit der Thematik waren. Einige Ergebnisse möchte ich an dieser Stelle vorstellen, da sie zu Ideen führen, die eine gelingende und gute, d. h. eine aktiv gestaltete sexualpädagogische Praxis in der Gemeinde bzw. der christlichen Jugendarbeit fördern können.

Die Befragung hat ergeben:

Junge Erwachsene, die im kirchlichen Rahmen sozialisiert wurden, sind angespannter im Umgang mit Sexualität als kirchenferne.

Sie kennen kaum Räume oder Foren, die ihnen den Austausch über Sexualität ermöglichen bzw. ermöglicht haben. Sexualität wird kaum positiv besetzt, sie wird im Allgemeinen mit dem Sündenbegriff behaftet. Gefühlsaspekte, die die Befragten mit Sexualität verbinden, sind Unsicherheit, Scham und negative Gefühle – das „schlechte Gewissen“, das wahrscheinlich viele von uns kennen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass Christen Gefühlsaspekte wie Vertrauen, Dankbarkeit und Freude mit der Kommunikation über Sex verbinden, selbst wenn die Sprachfähigkeit darüber wenig vorhanden scheint.

Als bedeutsame Bildungsinstanzen haben sich für kirchlich gebundene Jugendliche neben der Familie auch ihre Peers, also gleichaltrige Freunde, und die Gemeinde gezeigt. Das sind diejenigen Autoritäten, von denen sie sich auch etwas sagen lassen (würden). Insgesamt wurde deutlich, dass die Befragten nicht zufrieden waren mit der sexualpädagogischen Praxis in ihrer Gemeinde bzw. Jugendarbeit.

Was fangen wir nun mit diesen Ergebnissen an?
Wir könnten sehr viel damit anfangen, wenn wir wollten. Beim Schreiben dieses Artikels merke ich, dass ich mit all den wertvollen Ideen und Ergebnissen leider selbst bislang viel zu wenig aktiv geworden bin.

Zuerst erfordert es nämlich Mut, über Sexualität zu sprechen – und Offenheit, sich dabei auch verletzlich zu machen. Jede/r von uns kann sich selbst nachspüren und fragen: Wie wurde ich geprägt? Was wurde thematisiert und was wurde verschwiegen? Was habe ich selbst erlebt und welche Gefühle verbinde ich damit? Welche Haltung habe ich und warum? Wenn ich mir darüber im Klaren bin, kann ich lernen, damit umzugehen und zur Sprache bringen, was ich denke, fühle und anderen weitergeben möchte.

Weiter können wir festhalten, dass die christliche Jugendarbeit (eigentlich) den optimalen Rahmen für eine sexualpädagogische Praxis bietet: Freundschaften innerhalb der Gemeinde, meist ein enges Vertrauensverhältnis untereinander, regelmäßige Gruppenangebote und zum Teil auch einzelne Begleitung. Diese Ressourcen könnten wir nutzen. So könnte man bspw. säkulare und christliche Jugendzeitschriften (z. B. „Teensmag“, „Dran“ aus dem SCM Verlag oder auch die altbekannte „Bravo“), die Sexualität thematisieren, zur Verfügung stellen und die Möglichkeit geben, sich darüber auszutauschen oder Fragen zu bestimmten Artikeln zu stellen.

Oder gemeinsam einen Film schauen, der eine Sex-Szene beinhaltet (welche Komödie tut das denn nicht?), und danach darüber mit den Jugendlichen in einen Austausch kommen: Was habt ihr wahrgenommen? Wie wird die Sexualität dargestellt? Damit kann man bspw. aufzeigen, dass Sex in der Realität meist anders ist, als er medial gezeigt wird. Jugendliche und junge Erwachsene begegnen diesen Vorstellungen und Bildern von Sexualität doch ohnehin. Warum kann man dann nicht auch einen Raum schaffen, um gezielt darüber in einen echten Austausch zu kommen?

Gegenstimmen mögen behaupten, dass durch eine solche Praxis schlafende Hunde geweckt würden. Wirklich? Oder ist das eher ein Argument der Unsicherheit, weil man noch nie wirklich gelernt hat, über Sex zu sprechen? Nicht weiß, was man sagen darf und was nicht? Sexualität immer wieder bewusst zum Thema zu machen, halte ich für enorm wichtig.

Sonst sind die Jugendlichen sich selbst überlassen. Überall begegnet uns sexualisiertes oder sogar pornografisches Material, das von manchen Jugendlichen auch als Aufklärungsmaterial genutzt wird. Doch ist es dieses verzerrte Bild von einer idealisierten, gefühlsfernen Sexualität, das Jugendliche kennenlernen sollten? Sich als Gemeinde bewusst mit Sexualität zu beschäftigen und sexuelle Bildung zu fördern, halte ich letztlich auch für eine wichtige Maßnahme zur Prävention vor sexualisierter Gewalt.

Mentoring kann einen optimalen Raum für eine individuelle sexualpädagogische und subjektzentrierte Begleitung darstellen. Ein Jugendlicher, den mein Mann eine Zeit lang begleitet hat, hat sich sehr dankbar gezeigt für Gespräche über Sexualität.

Erfahrungsberichte und die offen kommunizierte Haltung haben ihn ernsthaft zum Nachdenken über das Gestalten seiner eigenen Sexualität gebracht – im Gegensatz zu den ausschließlich moralischen Vorgaben, die ihm in der Gemeinde begegnet waren, und von denen er sich klar distanzieren wollte. Auch das Bilden von Zweierschaften kann einen Raum schaffen, in dem Jugendliche sich austauschen. Wenn die Jugendleiter signalisieren, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, bietet dieses Setting auch eine optimale Chance, um Sexualität als Thema in der Gemeinde zu etablieren.

Sexuelle Bildung darf und soll unbedingt einen Platz in der christlichen Jugendarbeit haben
Ich wünsche mir, dass es nicht nur bei einem Abend in mehreren Jahren bleibt, an dem Experten eingeladen werden, die referieren, sondern dass eine Kultur entsteht, die die Kommunikation über Sexualität ermöglicht und Offenheit fördert. Vielleicht braucht es auch dafür erstmal eine Mitarbeiter Schulung?

Wir alle brauchen die Befähigung, über Sexualität zu sprechen.

Vor allem positiv, im Sinne der – auch göttlichen – Liebe, die ihre treibende Kraft ist. Es geht doch nicht nur um Verbote, sondern um etwas so Schönes! Wenn wir die vorhandenen Ressourcen nutzen, können wir wertvolle Fundamente legen, um Jugendliche zu stärken.

In diesem Sinne: Verwendet keine stacheligen Metaphern, sondern habt Mut zum echten Austausch!

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