Oder immer schön in Bewegung bleiben?
Die Psychologische Beraterin und Autorin Christina Ott hält ein Plädoyer für innere Beweglichkeit.
Irgendwann wollen wir endlich fertig sein. Eine komplizierte Aufgabe abhaken, anschließend die Beine hochlegen und den wohlverdienten Feierabend genießen. Abhaken und fertig! Können wir darauf auch im persönlichen und zwischenmenschlichen Bereich hoffen? Oder ist dieser Haken in unserer Persönlichkeitsentwicklung und bei der Pflege gesunder Beziehungen nicht eher ungünstig? Ich denke, wir benötigen immer einen gewissen Grad an Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, bei Bedarf neu zu investieren, uns zu verändern. Das klingt vielleicht anstrengend, bringt langfristig aber Erleichterung. Also ist es klug, wenn wir uns darauf einstellen und Nutzen daraus ziehen.
Meine Sporttrainerin rief regelmäßig nach Abschluss einer Übung: »Immer schön in Bewegung bleiben«. Wir hätten uns gewünscht, endlich abzuhängen, doch sie hatte Recht. Das gilt genauso für den Bereich der psychischen Gesundheit, da gibt es immer Bewegungsbedarf. In meinem persönlichen Leben liegt mir daran, die Chance in dieser Gesetzmäßigkeit wertzuschätzen, statt vor der befürchteten Anstrengung zurückzuschrecken. Deshalb heißt es auch auf der Umschlagseite meines Buches »Unvollkommen glücklich«: »Wer bin ich? Was prägt mich? Bin ich gut genug? Was darf noch werden und wachsen in meinem Leben? – Mit diesen Fragen sind wir im Grunde nie fertig, ganz gleich, wie jung oder alt wir sind.« Wenn wir innerlich in Bewegung bleiben, sind Veränderungen und Verbesserungen tatsächlich möglich.
Flexibilität trainieren
Die Überzeugung, dass wir NUR SO denken und handeln können, ist das pure Gegenteil von innerlicher Beweglichkeit.
Hin und wieder sollten wir deshalb das Gegenteil von dem trainieren, was wir in der Regel tun.
Der Redende darf sich aufs Zuhören fokussieren. Der Schweigsame sich mitteilen. Der Zufriedene Widerspruch einlegen und der Aufbegehrende etwas hinnehmen. Diese Art von Übungen führen zu überraschenden Erfahrungen, deshalb werden sie »korrigierende Erfahrungen« genannt. Sie korrigieren starre Überzeugungen und eröffnen unerwarteten Handlungsspielraum.
Was bewegt sich gerade in deinem Leben?
Wie ein Wetterspezialist zu beobachten, was sich gerade im eigenen Leben bewegt, kann ebenfalls sehr aufschlussreich sein. Ich stelle mir dazu gerne Wolkenfelder und Witterungsverhältnisse vor. Was kommt und was geht? Wie ist die Gesamtstimmung? Diese Wahrnehmungsübung ist auch dazu geeignet, sich einer anderen Person mitzuteilen oder an ihrem Leben Anteil zu nehmen, ohne sich dabei in Details zu verstricken. Sie bringt eine gewisse Entspanntheit mit sich. Denn auch Lebensphasen und Lebensumstände sind in Bewegung. Manche Wolken werden vorüberziehen und neuen Witterungsverhältnissen Platz machen.
Wohin bewegst du dich selbst?
Diese Frage ist weitaus persönlicher. Wir bewegen uns immer in irgendeine Richtung; meist, ohne es zu beachten. Der wahrnehmende Blick könnte dir zeigen, ob du dich in Richtung von zu viel Arbeit oder zu wenig Engagement bewegst. Tiefer in deine Partnerschaft hinein oder innerlich hinaus aus der Beziehung. Familiär in Richtung von zu viel Kontrolle der Kinder oder zu wenig Interesse an ihrem Leben. Glaubensmäßig zu tieferem Gottvertrauen, oder in Richtung zu mehr Oberflächlichkeit. Wenn dir die erkannte Richtung nicht gefällt, kannst du die Gegenrichtung anstreben. Allein oder mit professionellen Helfern.
Wo möchtest du hinkommen, was ist dein Ziel?
Wir bewegen uns dorthin, wo wir hinschauen. Deshalb sollten wir in der engen Fahrspur einer Autobahnbaustelle besser in die Ferne schauen, statt auf die bedrohlich nahen Streifen links und rechts der Fahrbahn zu starren. Das Lenkrad lässt sich sonst viel schlechter führen. Gleiches gilt für unser Lebensziel. Von Zeit zu Zeit sollten wir den Blick in die Ferne richten. Wo wollen wir hin mit unserem Leben? Wofür sind wir angetreten in unserer Partnerschaft? Wozu hat Gott uns berufen? Als welche Persönlichkeit möchten wir/möchte ich diese Rolle ausfüllen?
Wer ein Nachfolger von Jesus Christus geworden ist, hat sich bereits für die Bewegung entschieden. Nämlich dafür, seiner Spur zu folgen. Der abstrakte Begriff »Nachfolger« ist übrigens erst im christlichen Sprachschatz entstanden. Im Neuen Testament steht nur das Verb »nachfolgen«. Es drückt Bewegung aus. Bewegung, die sich lohnt.