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Die Familie als Mobile

Ausbalanciert oder in Schieflage?

– von Christian Siegling

Als wir vor einigen Jahren umgezogen sind, haben wir auch ein Mobile, das in unserem Esszimmer hing, mitgenommen. Offenbar hatten wir beim Zusammenpacken und beim Transport nicht genügend aufgepasst, denn es war beim Auspacken total verheddert und auch manche Fäden und Befestigungspunkte waren nicht mehr an den gleichen Stellen.

Zu allem Überfluss hatten wir die Befestigungspunkte, an denen die einzelnen Arme des Mobiles an den oberen Ebenen festgebunden waren, nicht markiert. Als wir es in unseren neuen Beratungsräumen aufhängen wollten, hing es total schief – und war gar nicht so schön ausbalanciert, wie wir das in Erinnerung hatten und wie es eigentlich sein sollte. Der Versuch, die Befestigungspunkte an den einzelnen Armen des Mobiles wieder neu ins Gleichgewicht zu bringen, war ganz schön kompliziert: Fängt man jetzt oben an? Oder unten? Einer hält es oben fest, eine andere sortiert unten nach links und rechts … Wie viele Leute mit wie vielen Händen braucht man denn dazu? Einer alleine ist doch da total überfordert!

Ein Mobile ist dazu geschaffen, ausbalanciert zu sein. Wenn man ein fertiges kauft, dann hat sich hoffentlich der Baumeister, Konstrukteur oder Ersteller Gedanken gemacht, wie und wo er das Mobile ausbalanciert. Ansonsten kann das wie schon oben beschrieben manchmal ein ganz schön schwieriges Unterfangen sein, wenn man selbst versucht, das Gleichgewicht herzustellen.

Das Familienmobile – immer in Bewegung
Heute möchte ich eine Familie mal mit einem Mobile vergleichen. (Diejenigen unter euch, die gerade nicht in einer eigenen Familie leben, können sich gerne an ihre Herkunftsfamilie erinnern, denn auch die hat wie ein Mobile funktioniert.)

Jeder sucht und findet seinen Platz und balanciert – bewusst oder unbewusst – das aus, was andere an »Schieflage«, »Unter-« oder »Übergewicht« produzieren.

Diesen Platz zu finden im »Familienmobile« ist oftmals schon mühsam und anstrengend. Letztendlich wird das Familiensystem wohl auch nie genau symmetrisch sein und es geht auch nicht darum, einen Schuldigen zu finden, wenn jemand »Übergewicht« produziert. Das kann auch eine Person mit einer ernsten Krankheit oder anderen Einschränkungen sein, die besonderer Aufmerksamkeit und Hingabe bedarf. Da bringt aber auch ein »Es-wäre-leichter-wenn-du-nicht-da-wärst«-Gedanke nicht weiter, sondern auch hier ist das Ziel: Balance.

Auch junge Eltern unter euch wissen genau, dass es einige Zeit braucht, bis das »Paarmobile« wieder neu ausbalanciert ist, wenn auf einer unteren Ebene noch ein Kind oder womöglich sogar mehrere (Freunde von uns dürfen jetzt sogar Drillinge erwarten!) angehängt werden.

Das Prinzip des Mobiles stellt uns hier sehr deutlich vor Augen: Wenn an irgendeiner Stelle etwas Neues dazu gehängt wird oder auch etwas weggenommen wird, kommt das gesamte Mobile ins Ungleichgewicht und nicht nur der einzelne kleine Punkt.

Das hilft uns auch zu verstehen, warum das Zusammenfügen von mehreren Familien und Familienteilen zu einer Patchworkfamilie mit so großen Anstrengungen und Herausforderungen verbunden ist: Das neu auszubalancieren, ist eine lange und intensive Arbeit, die viel Einfühlungs- und Durchhaltevermögen erfordert. Jedes Mitglied des Mobiles muss dann eine neue Position finden, die zu ihm passt und das Mobile in einem stabilen Modus hält.

Wenn ein Baby dazu kommt
Das Hinzufügen einer weiteren Familienseite ist sicher eine sehr große Herausforderung, da das Mobile wieder neu ausbalanciert werden muss. Aber selbst das Hinzukommen eines Geschwisterchens reicht aus, und alle merken in der Familie: Das neue Baby verursacht Bewegung und ein Ungleichgewicht im Familiensystem.

Ein Mobile auszubalancieren wird sehr viel schwieriger, wenn gleichzeitig an mehreren Fäden und Enden gezupft und gezerrt wird und Bewegung stattfindet. Aus diesem Grund erscheint der Versuch der Eltern, ein älteres Geschwisterkind zu motivieren, hier nicht auch noch für unkontrollierte Bewegung zu sorgen, sehr nachvollziehbar – und auch die damit verbundene Aufmunterung: »Gut, dass du schon so groß und vernünftig bist!«

Eltern tragen die Verantwortung

Es ist die Aufgabe der Eltern und nicht der Kinder, für eine gute Balance im Familienmobile zu sorgen.

Falls eines der Elternteile aber den ihm bestimmten Platz nicht einnimmt (z. B. emotional und/oder tatsächlich physisch oft abwesend ist) oder auch nicht einnehmen kann (z. B. bei einer Trennung oder Scheidung), bringt das Kinder oft zur Herausforderung, das ebenfalls auszubalancieren – vielleicht sogar auf einer oberen Ebene des Mobiles, die ihnen gar nicht entspricht und die nicht verantwortungs- und altersgemäß für sie ist. Das geschieht mit manchmal durchaus sinnvoll erscheinenden Aktionen (z. B. ältere Kinder übernehmen Verantwortung, die eigentlich auf die Elternebene gehört), manchmal aber auch mit sinnlos anmutenden Dingen (plötzliche Krankheiten, Aggressionen, etc.).

Ja, es wäre sehr schön, wenn wir als Eltern unser Familienmobile immer so klar und einfach ausbalancieren könnten! Das ist besonders dann der Fall, wenn sich unsere Kinder nicht wehren, wenn wir sie ausbalancieren. Aber wir sollten immer jedes einzelne auch im Blick haben oder uns wieder neu in es hineinfühlen: Passt der Platz im Familienmobile für dieses Kind? An welcher Stelle war es zuletzt, bevor das Familienmobile aus dem Gleichgewicht gekommen ist?

Wenn die Kinder aus dem Haus sind
Es klingt so, als ob ein Ausbalancieren nur beim Kinderkriegen und Erweitern des Mobiles notwendig ist, aber lasst euch sagen, wir sind gerade in der Phase, in der ein Kind nach dem anderen unser Haus verlassen hat und auch da mussten und müssen wir uns immer wieder neu »ausbalancieren«. Seit ein paar Monaten sind meine Frau und ich wieder »nur« zu zweit. Klingt einfach? Hmm, ich weiß nicht.

Nach 27 Jahren Familienphase ist auch das wieder neu in Balance zu bringen und eben doch nicht so einfach, weil jeder von uns beiden einen neuen Platz suchen und finden muss. Damit schließt sich auch der Kreis zum Thema Bewegung in diesem Heft: Ja, ständig müssen wir in Bewegung sein und bleiben, um unser Familienmobile neu auszubalancieren, weil wir alle darin lebendig sind, uns verändern und weiterentwickeln.

5 Tipps für euer »Familiemobile«
(1) Beobachte deine Kinder genau. Übernehmen sie vielleicht Aufgaben, die nicht ihre sind? Dann schaffe Entlastung.
(2) Nimm dir bewusst Zeit für ein Kind, wenn ein neues Geschwisterchen geboren wird.
(3) Rede über die Lücke, die entstanden ist, wenn jemand ausgezogen ist. Was wird fehlen? Welche Chancen nehmt ihr wahr?
(4) Nimm Druck heraus. Nicht immer ist das Mobile ausgewogen und das darf zwischendurch auch mal sein.
(5) Überlege immer wieder neu, was man festhalten kann und was losgelassen werden muss, wenn Bewegung in die Familie kommt.

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