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Die Kunst, Grenzen zu setzen

Eine Kompetenz, die uns auf dem Herzen liegt

– von Anja Schnake

Anja Schnake konnte sich lange Zeit nicht gut abgrenzen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema hat sie eine ganz neue Freiheit gewonnen, die andere ebenso erlernen können.

»Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht!« (Arno Backhaus) Dieses Zitat beschreibt, wie es mir früher oft ging. Ich versuchte, mein großes Liebesdefizit mit Leistung und dem klassischen Helfersyndrom auszufüllen und mir so Annahme »zu verdienen«. Aber ich erntete nur immer wieder Abstürze in emotionale Löcher und körperliche Erschöpfungs- und Krankheitsphasen.

»Ich will dir Frieden innerhalb deiner Grenzen schenken!« sagt Gott in Psalm 147,14. Auf meinem langen Weg, das zu erleben, war das Anerkennen meiner persönlichen Belastung und Begabungsgrenzen ein sehr wichtiger Abschnitt. Erst als ich mich darin mehr geübt habe, konnte ich mich auf die Abenteuerreise des Gegenpols einlassen: »Mache den Raum deines Zeltes weit.« Jesaja 54,2a. Das heißt für mich, weiter in meinen Gaben zu wachsen und an neuen Herausforderungen zu reifen. Es ist wie eine Waage, dass beides zum Leben in Balance gehört und wir beweglich mal auf der einen Seite mehr üben und mal auf der anderen.

Die Nöte von Menschen mit Grenzproblemen
In meiner Beratungspraxis und auf Seminaren höre ich von vielen Grenzverletzungserfahrungen auf Seminaren und dem »gar nicht wissen«, dem »nicht wahrnehmen« von eigenen, gesunden Grenzen. Da ist
zum Beispiel ein Unternehmer, der zu jeder Anfrage »Ja« sagt und sich und seine Mitarbeiter damit total überfordert und unter Stress setzt, weil die Aufträge und Zeitrahmen im Alltag gar nicht leistbar sind. Demzufolge beschweren sich Kunden, die er immer wieder vertröstet und nach hinten schiebt. Ihm fehlen die Freiheit und Klarheit, ja sogar die innere Erlaubnis, zu einem Auftrag »Nein« zu sagen. Er kennt keine Strategien, wie er das formulieren könnte, beispielsweise: »Leider kann ich Ihre Anfrage nur auf die Warteliste setzen oder Sie wenden sich an einen Kollegen.« Er kam in die Beratung, weil er im Burnout war und viele innere Konflikte hatte.

Eine andere Ratsuchende, nennen wir sie Sandra, war »die Liebe und Hilfsbereite für jeden« und auch für die unselbstständige, alleinlebende Mutter war sie der erste Anlaufpunkt, um deren Probleme zu besprechen und sich Hilfe zu holen. Sandra war ständig angespannt, hatte Migräne und versuchte es allen recht zu machen. Sie wusste genau, was die anderen brauchten, aber nicht, was ihre Bedürfnisse waren und dass sie ein Recht auf Pause und Schutz hat. Sie war gefangen im Überverantwortungsmodus. Sie war nur bei dem anderen und nicht bei sich. Sie wurde von ihrem schlechten Gewissen und inneren Kritiker ständig auf Trab gehalten, »für andere da zu sein und sich zu überfordern«.

Grenzprobleme haben aber auch Menschen, die gar nicht realisieren, dass sie die Grenzen anderer nicht bemerken und einfach überrennen. Eine Studentin kam wegen einem großen Konflikt mit Freunden in die Beratung. In einem moderierten Gespräch mit einem der Freunde hörte sie, dass der andere sagte, sie könne kein Nein akzeptieren. Dann gehe man lieber auf Distanz zu ihr. Sie sagte: »Wieso, wenn du Nein sagst, weißt du nicht, was du verpasst, dann muss ich dich überzeugen, und habe noch nicht alles gegeben, damit du Ja sagst«. Sie verwechselte diese Aussagen mit einer sportlichen Herausforderung und verstand ein Nein als »Ich habe noch nicht alles versucht.«

Probleme, die auf fehlende Grenzen hinweisen sind also Überverantwortung, kein Gespür für eigene Gefühle und Bedürfnisse, ein zwanghaftes »Ja« sagen müssen, weil sonst ein schlechtes Gewissen oder ein innerer Kritiker einem im Selbstgespräch die Hölle heiß macht. Beziehungsprobleme, unterschwellige Konflikte, körperliche Krankheiten und oft auch anteilig depressive Phasen. Wer bin ich, was will ich, was kann ich und was nicht?

Authentisch sein fällt diesen Menschen sehr schwer. Sie werden oft vom Außen bestimmt und haben selten einen eigenen Standpunkt. Oder ihr Standpunkt und ihre Sichtweisen sind die einzig richtigen und die anderen sind immer falsch. Diese Liste kann jeder individuell weiterführen.

Der Gewinn angemessener Grenzen
Als Menschen sind wir mit Begabungen und Begrenzungen geschaffen. Im Alltag merken wir alle, dass wir unterschiedliche Kräftetanks und Gesundheitsressourcen haben. Wenn ich lerne, mir ein gesundes Maß an Selbstvertrauen zu erlauben, auf mich und meine Bedürfnisse achte und dazu auch meine eigenen Kraft- und Ressourcengrenzen kennenlerne, dann ist der Gewinn mehr Authentizität, Zufriedenheit und Gesundheit. Ich kann innerhalb meiner Ressourcen und Begrenzungen Frieden finden. Es ist die beste Burnoutprävention!

In dem Lernprozess wachse ich auch in der Kunst, Grenzen zu verhandeln und anzupassen. So sind sie beweglich und nicht starr. Henry Cloud vergleicht das mit »Toren, die Gutes rein lassen, und Schädliches muss draußen bleiben«. Aber so schwarz-weiß sind viele Entscheidungen nicht und da ist es gut, verhandeln zu lernen, mit sich selbst und mit anderen. »Wenn ich dir zusage, dich darin zu unterstützen, fehlt mir die Zeit für xy. Kannst du mir dann dabei helfen?«

Es lohnt sich!!!
Eine Freundin sagte mir vor einiger Zeit: »Anja, du bist für mich ein anspornendes Vorbild im Grenzen setzen und in Selbstfürsorge. Deine Klarheit und Kraft, die du dadurch gewonnen hast, bestaune ich und es macht mir Mut, dass ich das auch lernen kann!« Ich selber merke, dass ich wirklich mehr Frieden innerhalb meiner Begrenzungen erlebe. Aber auch, dass es ein Lernfeld bleibt, die eigenen körperlichen oder seelischen Belastungsgrenzen zu akzeptieren, auch wenn ich noch so viele gute Ideen hätte. Ich bin Gott sehr dankbar für den langen Trainingsweg und die neue Freiheit. Und wo befindest du dich im Umgang mit deinen und den Grenzen anderer? Ich wünsche dir da Frieden und Achtung für dich und dein Umfeld.

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