Jetzt spenden

Übergangsweise

Wie wir den Prozess zwischen Lebensphasen gut gestalten

– von Heike Nagel

Äußere Veränderungen leiten in unserem Leben einen individuellen psychologischen Prozess ein, der sich sehr verunsichernd anfühlen kann. Was hilft uns in dem Übergang von einer Lebensphase zur anderen?

Anfang dieses Jahres habe ich mir erneut vorgenommen, die Bibel einmal komplett durchzulesen. Dieses Mal gehe ich nicht chronologisch von vorne nach hinten vor, sondern orientiere mich an einem Plan, der mich in wechselnder Reihenfolge durch die verschiedenen Bücher der Bibel führt. Aktuell bin ich im 2. Buch Mose gelandet und beschäftige mich mit dem Volk Israel und einem großen Umbruch im Laufe seiner Geschichte.

Ein Beispiel, das uns eine Hilfe in eigenen Veränderungsprozessen sein kann:

Durch eine Hungersnot Jahrhunderte vorher in Ägypten ansässig geworden und dort mehr und mehr geknechtet unter dem herrschenden Pharao, wird das Volk Israel von Gott nach einiger Vorbereitung aus der Sklaverei befreit: heraus aus Ägypten – und hinein in die Wüste! Natürlich: Sie wussten, dass sie auf dem Weg in ein ihnen versprochenes Land waren.

Aber was war das für ein Umbruch! Nichts von dem, was vorher alltägliche Routine gewesen war, galt noch. Alles war neu, ungewohnt, unrund, improvisiert. Und das verheißene, neue Land, in dem sie ihr neues Leben aufbauen wollten, lag noch in der Ferne. Dass es am Ende 40 Jahre dauern sollte, bis sie dort ankamen, war am Anfang so nicht geplant.

Wüste. Das Alte hat ein Ende. Keine Sklaverei, keine Unterdrückung mehr. Aber auch keine Versorgung mehr, die durch die Ägypter bereitgestellt wird. Wüste. Und das neue Land, der echte Neuanfang als freies Volk in weiterer Ferne, als sie dachten.

Beide, das Volk Israel und das Volk der Ägypter, waren mit großen äußeren Veränderungen konfrontiert: Israel wurde befreit aus einer Fremdherrschaft, Ägypten war mit dem Verlust fleißiger Arbeitskräfte konfrontiert, die Gesellschaft musste sich neu ordnen. Solche großen äußeren Veränderungen kennen
wir auch heute.

Werfen wir mal einen Blick darauf, durch was für Veränderungen wir als ganze Gesellschaft und sogar als Weltgemeinschaft in den letzten Jahren gegangen sind: Da gab es einen Börsencrash und eine Wirtschaftskrise, große Flüchtlingsströme, eine Pandemie von ungeahntem Ausmaß, den zunehmend bedrohlichen Klimawandel, überflutete und verwüstete Landstriche und Ortschaften, einen Krieg in Europa, Inflationsszenarien, Energieknappheit und vieles mehr.

Wüste? Das Alte hat ein Ende? Das, was wir gewohnt sind, ist nicht mehr so einfach verfügbar? Wüste? Und das neue Land, der echte Neuanfang – noch in weiterer Ferne als wir denken?

So kann es kommen, wenn wir mit Veränderungen konfrontiert sind. Nein, so kommt es immer, wenn wir dem US-amerikanischen Unternehmensberater William Bridges glauben: Sobald wir mit Veränderungen konfrontiert sind, wird ein dreiphasiger Übergangsprozess ausgelöst, den wir ganz individuell durchschreiten: Das Alte ist beendet. Wir befinden uns in einer Zwischenzone, in der das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht gilt, und erst irgendwann in naher oder weiter Ferne ist der Neuanfang da. Bridges beschreibt in seiner Transitions-Theorie, dass diese drei Phasen nicht streng nacheinander ablaufen, sondern dass sie sich überlappen. Im Prozess ist es dann immer eine Phase, die am stärksten dominiert.

Die unterschiedlichen Arten von Veränderungen
Veränderungen gibt es nicht nur auf der großen Weltbühne, sondern auch im ganz persönlichen Leben. Wie können wir den Prozess zwischen einer Lebensphase zur anderen gut gestalten? Dazu gehört zunächst, dass wir uns die unterschiedlichen Arten von Veränderungen deutlich machen.

Da gibt es Veränderungen, die geplant sind, wie z. B. die Geburt eines Kindes, das uns von einem Paar zu Eltern werden lässt. Daneben gibt es den großen Bereich der ungeplanten Veränderungen.

Wir alle kennen Veränderungen, die durch Prozesse in uns selbst eingeleitet werden, die uns in unserem Leben in Bewegung bringen, weil wir merken, dass wir uns in unserem eigenen Leben nicht mehr wohl fühlen und nicht mehr daran vorbeikommen, Dinge in Angriff zu nehmen.

Auch Veränderungen, die plötzlich passieren und meistens sehr viel von uns fordern, weil wir uns nicht auf sie vorbereiten können, werden die meisten von uns aus eigener Erfahrung kennen. Dies kann eine Krankheitsdiagnose sein, der Abschied von einem geliebten Menschen, aber auch das Auftreten eines neuartigen Krankheitserregers, der alles auf links dreht, was wir bisher kannten und für normal hielten.

Und dann gibt es Veränderungen, die daraus resultieren, dass etwas Erwartetes nicht passiert und wir von Hoffnungen Abschied nehmen müssen, dass in unserem Leben dieses oder jenes passieren wird.

All diese Veränderungen haben eines gemeinsam: Sie verändern unser Leben in jedem Fall!
Wir finden uns mitten in dem oben beschriebenen dreiphasigen Prozess des Übergangs wieder. Das Ende des Gewohnten ist da und wir sind gleichzeitig in einer Zwischenzone, die sich anfühlen kann, wie eine Wüste.

Das gilt für geplante und positive Veränderungen, wie den Umzug in das erste eigene Haus oder eine Beförderung, ebenso wie für schmerzhafte Veränderungen, wie eine Krankheitsdiagnose oder den Umstand, dass wir keinen Partner finden, mit dem wir unser Leben teilen können, obwohl wir uns sehr danach sehnen. Es gilt für die Renovierung einer Wohnung ebenso wie für den Totalschaden an unserem Auto. Es gilt für Empty-Nest-Phasen und Midlifecrisis, für Wechseljahre und für die Pubertät.

Das Alte ist vergangen; Neues darf werden.

Was aber hilft uns nun in dieser merkwürdigen Phase, dieser Zwischenzeit zwischen Alt und Neu?

Zunächst hilft die Erkenntnis, dass wir diese Phase nicht beschleunigen können. Es ist wie in einem Trauerprozess, in dem wir unserer Seele ja auch nicht befehlen können, doch bitte ein wenig schneller zu trauern. Auch in Übergängen müssen wir Abschied nehmen von Vertrautem, Gewohntem, Erhofftem und uns auf den Weg machen in ein Land, das wir noch gar nicht in allen Einzelheiten kennen.

Den Weg dahin können wir nur bis zu einem gewissen Punkt überblicken, vieles liegt noch im Nebel oder wird sich erst im Gehen zeigen. Und so ist es in Zeiten, in denen wir mit Veränderungen konfrontiert sind, besonders wichtig, dass wir sanft mit uns selbst umgehen, dass wir uns gut selbst versorgen, uns mit Menschen umgeben, die uns guttun und stützen und uns in dem Vertrauen üben, dass Gott uns hindurchbringen wird. Er ist nämlich nicht im Geringsten überfordert und hat einen Weg der Reifung und der Glaubensstärkung inmitten unserer Umstände mit uns im Sinn.

Wie gut ist es, in den Veränderungen und den daraus resultierenden Prozessen unseres Lebens um diesen Gott zu wissen, für den unsere eigenen Lebensübergänge ebenso wenig ein Problem darstellen, wie Veränderungen auf der Weltbühne! Die ganze Bibel beschreibt einen Übergang nach dem anderen – und Gottes souveränes, kraftvolles, liebevoll-zugewandtes Handeln mitten in den Veränderungen, die uns als Menschen widerfahren können.

In all den Übergängen, die uns immer wieder neu fragen lassen, wer wir in dieser Phase unseres Lebens eigentlich sind und wie wir uns nun neu definieren, spricht Gott uns zu, wer wir in seinen Augen sind: geliebte, bejahte und berufene Kinder eines Vaters im Himmel. Diese Identität ist kraftvoll. Sie kann uns hindurchtragen durch alle Identitätsverwirrungen, welche Veränderungen und Übergänge mit sich bringen.

    zurück zur Übersicht