Man könnte einen Fehler machen, wenn man sich entscheidet
– von Christian Siegling
Für die Angst vor Entscheidungen gibt es sogar einen modernen Fachbegriff: »FOBO – Fear of better options«, was übersetzt so viel heißt wie: Angst bei vielen Entscheidungsmöglichkeiten die falsche zu erwischen. Geprägt hat diesen Begriff der Geschäftsmann und Autor Patrick McGinnis. Tatsächlich scheint es Menschen in der heutigen von Informations- und Optionsvielfalt geprägten Zeit zunehmend schwer zu fallen, Entscheidungen zu treffen.
Das schier unerschöpfliche Internet sowie Vorbilder in Social Media & Co. vermitteln einem den Gedanken, das Beste und Optimalste auswählen und sich dafür entscheiden zu können. Problematisch daran ist allerdings, dass die Suche nach immer noch besseren Optionen und Entscheidungsalternativen und der ständige Vergleich zu anderen Menschen dafür sorgt, dass sich viele am Ende gar nicht mehr entscheiden können. »So lange ich nicht alle Alternativen gefunden, gesehen, geprüft und durchdacht habe, sollte ich mich nicht für eine zweit oder drittbeste Lösung entscheiden.« So oder ähnlich könnten Statements von betroffenen Menschen lauten.
Ihnen geht es darum, die besten Optionen für Entscheidungen zu wählen und das Maximum im Leben zu erreichen. Menschen, die sich hier wieder finden, kreisen mit den Gedanken oft um das, was sie nicht haben, um das, was sie verpassen und ob ihre Entscheidung richtig oder optimal war, um das Beste, 100 Prozent, zu erreichen und bekommen zu können.
Die Folge ist eine ständige Jagd nach Neuem, Besserem.
Ganz nach dem Motto: »Vielleicht gäbe es …«, »Es könnte sein …«, »Ich muss das nur noch finden …« – So entsteht Furcht, einen Fehler zu machen oder eine fast totale Entscheidungslethargie.
Das Leben verpasst?
Dabei geht es nicht nur um wichtige Entscheidungen. Auch kleine Alltagsentscheidungen konfrontieren einen mit diesem Phänomen: So lange es nur einen Holzreiniger im einschlägigen Regal der örtlichen Drogerie oder des Supermarkts gab, war die Wahl einfach. Man griff einfach zu, bezahlte und gebrauchte das Produkt. Heute stöbert man bei Amazon & Co., (hier erbrachte die Suche nach »Holzreiniger« am 27. Februar 2023 allein 518 Ergebnisse), liest Rezensionen, prüft, vergleicht Eigenschaften und Preise pro Milliliter, stellt anderen Kunden oder dem Herstellerservice Fragen nach dem PH-Gehalt – und entscheidet sich nicht zuletzt manchmal gar nicht (hab ich jetzt wirklich alles gecheckt und berücksichtigt?), oder nach einem quälend langen Prozess, der der Ausgangssituation nicht wirklich angemessen scheint.
Das Fatale daran ist, dass Menschen, die so handeln, in der Gefahr stehen, das Leben zu verpassen.
Entweder sie halten fest am Bestehenden und können weder loslassen noch sich entscheiden oder sie flüchten sich in Gedanken und Optionsträume, die auch dafür sorgen, dass sie mit Körper, Seele & Geist nicht im Jetzt leben.
Solch eine Entscheidungsangst ist natürlich nicht bei jedem gleich stark ausgeprägt, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab:
Unsere Gesellschaft und Social Media
Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft, in der wir in vielen Fragen auch viele Entscheidungsmöglichkeiten haben und darüber hinaus oft genug proklamiert wird, dass das Beste stets möglich sein muss. Über Social-Media-Kanäle (Instagram, Facebook, TikTok, etc.) sind wir zunehmend mit anderen Menschen vernetzt und bekommen einen Eindruck vermittelt, wie sie leben, entscheiden, reisen, Hobbies und Beziehungen gestalten etc. Das verschafft uns weitere Optionen und Ideen.
Unser Verhaltensstil und unsere Persönlichkeit
Es gibt in unserem Land viele Menschen, die es lieben und gewohnt sind, Entscheidungen erst nach gründlicher Analyse und Durchdenken zu treffen. Im DISG-Verhaltensprofil sind diese im introvertierten Bereich zu finden (S- und G-Verhaltensstile). Wer hier besonders ehrgeizig ist und einen starken Optimierungsdrang (oder Entscheidungsverdrängungstendenzen) besitzt, neigt eher dazu, unter »FOBO« zu leiden.
Unsere Erfahrungen mit Fehlern und Entscheidungen
Prägende Erfahrungen aus der Kindheit mit Fehlern oder Fehlentscheidungen können uns lähmen und auch für die Zukunft blockieren. Wer als Kind keine Fehler machen durfte oder Zuwendung und Liebe der Eltern nur bei vorbildlichem und fehlerfreiem Verhalten erlebt hat, tendiert dazu, anders mit Entscheidungen umzugehen als jemand, der stattdessen eine »Komme-was-da-wolle-Liebe« erlebt hat.
Was kann man tun?
Natürlich sollte man vor allem folgenschwere Entscheidungen gründlich überlegen und durchdenken, aber wer ständig auch kleine Alltagsentscheidungen vertagt, ist oft wie in einer Dauerschleife gefangen: Manchmal kommen wir nicht weiter, egal wie lange wir über eine Entscheidung grübeln, es sind einfach nicht alle Faktoren und Alternativen ergründbar.
Hier hilft es, auch auf seine Emotionen und sein Bauchgefühl zu hören und eine Entscheidung als wichtigen und notwendigen Schritt zu sehen, den wir in dieser Situation nach bestem Wissen und Gewissen gehen sollten und mit dessen Konsequenzen wir auch umgehen müssen und werden. Einer meiner Lieblingssprüche dazu ist: »Wo gehobelt wird, da fallen Späne!« Ich meine damit, dass beim Treffen von vielen Entscheidungen auch mal nicht bis zum Ende durchdachte darunter sind und »wenn man sich mal falsch entschieden hat, entscheidet man sich beim nächsten Mal vielleicht anders!«