Von gelebter Annahme in der Partnerschaft
– von Ira Schneider
Es ist nicht so einfach, die unterschiedlichen Anteile unseres Partners wahrzunehmen, diese auszuhalten und sie weder als Erschütterung noch als Bedrohung zu empfinden, sondern sich genau darin Annahme und Zuwendung zu schenken.
Zitronenkerne im Glas
Da kleben von mir hinterlassene Zitronenkerne im Wasserglas. Außerdem nehme ich mir jedes Mal ein neues Glas, statt tagsüber dasselbe zu behalten. Beim Benutzen der Zahnpasta stelle ich sie irgendwie immer in die zweite Schranketage statt in die erste. Wenn die Milch leer ist, stelle ich die Packung dennoch zurück in den Kühlschrank. Manchmal verstecken sich Kekskrümel auf der Bettseite meines Mannes. Nicht selten finden sich Kuschelsocken, die ich über Nacht ausziehe komischerweise auf seinem Kopfkissen wieder. Wenn ich die Betten beziehe, liegt die Seite mit dem Reißverschluss unbequemerweise immer oben. Natürlich bekomme ich es jedes Mal nicht mit.
All das und noch so viel mehr bringt wohl das Mit-mir-verheiratet-Sein mit sich. Das sind Macken, die andere kaum mitbekommen, außer sie lesen gerade jetzt davon oder sie haben wie meine enge Freundin Nora vorher mit mir zusammen gewohnt. Es klingt so, als verkörpere in die Chaoskatastrophe bzw. als hätte ich sie höchstpersönlich erfunden.
Die »ordentlichen« Anteile
Doch gleichzeitig sind mein Kreativraum und unser Wohnzimmer die meiste Zeit großenteils aufgeräumt. Das Bettenmachen gehört zu meinen morgendlichen Ritualen. Überhaupt liebe ich saubere Waschbecken, zauberhafte Deko und einen frischen Duft in der Wohnung. Dabei ummanteln Lichterketten unser Heim, die für gemütlich gedimmte Beleuchtung sorgen.
Es bleibt ein sowohl als auch
Das bedeutet, in mir resoniert in diesem Sinne ein Stück weit ein sowohl als auch. Der andere ist nicht entweder oder, auch nicht schwarz oder weiß. Vielmehr haben wir verschiedene, widersprüchliche und ähnliche Anteile. Diese dürfen nebeneinanderstehen. Was wir in diesen Momenten eigentlich brauchen, ist die sogenannte Ambivalenztoleranz. Diese bedeutet, in Beziehungen auszuhalten, dass sich unsere eigenen Gefühle unserem Partner/unserer Partnerin gegenüber nicht immer ausschließlich angenehm und nach himmelhochjauchzend anfühlen. Dazu gehört auch, dass unsere Gedanken nicht stets und unerschütterlich die Besten über die/den jeweils andere/n sind.
Es geht darum, sich zuzugestehen, dass all das Unliebsame, das wir fühlen, seine Legitimation und seinen Raum erhalten darf.
Das Wesentliche ist hier: Die unliebsamen Gefühle und Irritationen in uns dürfen Hand in Hand gehen mit all der Freude, Faszination, Liebe und Euphorie, die wir über unseren Partner spüren. Es geht genau darum, diese Ambivalenz – diese Widersprüchlichkeit – gewissermaßen ein Stück weit auszuhalten und zu tolerieren.
»Du bist ok, ich bin ok.«
Ganz konkret im Alltag kann das wie folgt aussehen: Ich kann in der Weihnachtszeit auf den tollen Adventskalender blicken, den mein Mann gebastelt hat und ihn in Gedanken anschwärmen. Im nächsten Moment kann ich mich ärgern, dass für mein organisatorisches Anliegen, mit dem ich ihn überfalle, gerade so gar keine Zeit vorhanden ist.
Das bedeutet noch lange nicht, dass der Tag nun gelaufen ist und ich mich nicht eine Stunde später beim Vorbeigehen an dem Kalender wieder neu erfreuen kann. Im Grunde sprechen wir hier von einer psychischen Funktion. Diese können wir stärken, indem wir unsere innere Haltung neu ausrichten. Wir können einander zusprechen oder auch denken »Du bist ok, ich bin ok.« Es ist ein »du bist genug« und »ich bin genug«. Und noch viel weiter ist es ein »auch in deiner Unvollkommenheit, in deinem nicht genug sein, nehme ich dich an«. Das bedeutet so viel wie:
»Ich bleibe nicht nur bei dir, sondern stehe zu dir.«
Auf Wünsche eingehen und Veränderung hervorrufen
Das bedeutet nicht, dass wir Macken, Fehler und für uns Unerträgliches nicht ansprechen können. Auch ich habe mir einiges abgewöhnt und habe vor, mir an vielen Stellen noch gute Gewohnheiten anzueignen. Früher bin ich ab und zu mit angezündeter Kerze eingeschlafen. Da bekam mein Berufsfeuerwehrmann zuhause fast Schnappatmung. Auch gehe ich auf weitere Brandschutzwünsche ein. Inzwischen ist es für mich selbstverständlich, alles in Mehrfachsteckdosen Eingesteckte auszuschalten oder beim Verlassen des Hauses alle Türen zu schließen, damit im Fall der Fälle ein Feuer sich nicht zu stark ausbreitet. Ich weiß, dass ihm das Ruhe und Sicherheit schenkt.
Ich habe mir Zeit genommen, zu verstehen und zu erkennen, welche Bedürfnisse sich hinter seinen Wünschen fürs Zusammenleben verbergen. Das macht mir das Verändern leichter, da mir bewusst wird, dass ich auf ein konkretes Bedürfnis reagiere.
Das Verändern und Kompromisse-Eingehen gehört unweigerlich dazu. Dennoch brauchen wir Ambivalenztoleranz, damit echte Annahme stattfinden kann. Denn am Ende ist das Sich-Lieben und das Sich-Lieben-lassen davon geprägt, dass wir die Gewissheit haben, dass wir TROTZ allem einen Menschen an unserer Seite haben, der ganz freiwillig bleibt und bereit ist, unsere Macken auszuhalten und vielleicht auch über diese mal zu schmunzeln.