– von Christian Siegling
Neulich hatte ich ein Ehepaar in meiner Beratung. Kaum hatten wir beim ersten Gespräch die wichtigsten persönlichen Dinge genannt, überfiel mich die Frau mit folgender Frage: »Muss ich das vergeben oder vergeben können? Mein Mann ist zum wiederholten Mal fremdgegangen und hat sich jetzt bei mir ganz reumütig entschuldigt und erwartet von mir, dass ich ihm vergebe – aber ich glaube, ich kann das nicht!« Ich merkte, wie verzweifelt sie war, sie war den Tränen nahe und biss sich auf die Lippen, während sie diese Sätze herausquetschte.
Was war passiert?
Ihr Ehemann hatte wohl kürzlich bei einer Fachmesse eine Arbeitskollegin aus vergangenen Zeiten getroffen und sich mit ihr verabredet. In der Folge dazu gab es nicht nur mehrere Treffen, sondern auch intimes Beisammensein der beiden. Die Sache flog rasch auf und die Ehefrau stellte ihren Mann zur Rede, der den Ehebruch auch zerknirscht zugab und um Vergebung bat. Doch was die Sache nun wirklich schlimm machte: Einige Jahre zuvor war eine ähnliche Situation schon einmal passiert. Auch damals war der Ehemann fremdgegangen und nachdem die Ehefrau das herausgefunden hatte, bat er ebenfalls um Vergebung, war verzweifelt und gab sich reumütig. Unter Aufbietung all ihrer christlichen Werte und als Gehorsamsschritt gegen über Christus – der uns ja schließlich auch vergeben hat und vergibt – schaffte sie es, ihrem Ehemann das zu vergeben. Aber sie wies ihn sehr deutlich darauf hin, dass das nicht nochmal passieren dürfte und sie das nicht noch einmal erleben wolle.
Nun war es wieder passiert.
Die Ehefrau war verzweifelt. Ihr Mann hatte sie um Vergebung gebeten und sie rang mit sich, ob sie ihm diese gewähren wollte und konnte.
Ich hatte den Eindruck, alles in ihr schrie »Nein!« und das christliche Verantwortungs- und Lebensgefühl bohrte: »Doch, du musst ihm vergeben! Auch Jesus hat uns immer wieder und mehrfach vergeben!«
Und ich hatte den Eindruck: Von mir erwarteten sie nun eine weise Antwort und die Lösung des Problems.
Aus mehreren anderen Beratungen weiß ich um dieses Dilemma und auch, dass es nicht jeder Mensch schafft, einen Ehebruch seines Partners oder seiner Partnerin zu verzeihen.
Wenn die Situation bei den Paargesprächen so ist, dass ich es vorher weiß, weil z. B. einer der Partner mich in einem Einzelgespräch einweiht über sein Fremdgehen bzw. eine solche Sache, die ihm passiert ist, dann sage ich ihm klipp und klar, dass es sein kann, dass ihm sein Partner das nicht vergeben kann, wenn er es ihm offenbart, selbst wenn er noch so um Vergebung bittet.
Zwei Möglichkeiten
Wenn ich mit einer solchen Situation konfrontiert bin, beschreibe ich dann beide Möglichkeiten: Entweder du sagst es deiner Partnerin und musst mit den Konsequenzen leben, dass sie dir das vielleicht nicht vergeben kann und eure Ehe zerstört ist oder du sagst es deiner Partnerin nicht und musst dafür dann mit der Last und der Schuld leben, dass du es ihr nicht sagen wolltest oder konntest. Das hört sich im ersten Moment vielleicht leichter an, aber für viele Menschen ist diese Dauerlast bestehend aus dem tatsächlichen Ehebruch und dem Verschweigen der Wahrheit mindestens genauso schwer und bedrückend.
Doch diese Alternative gab es bei diesem Paar nicht, denn die Situation war ja schon offenbar geworden.
Ich habe dann diese Frau, von der ich hier berichte, ermutigt, zu ihren Grenzen zu stehen: Ja, sie hatte ihrem Mann das beim ersten Mal vergeben. Das fiel ihr nach eigenen Aussagen schon sehr schwer, sicherlich hat ihr christliches Verständnis, dass uns Jesus ja auch vergibt und vergeben hat, geholfen. Aber sie hatte ihrem Mann auch sehr deutlich gesagt, dass sie das kein weiteres Mal ertragen und schaffen könnte.
Ihr Mann erwartete das aber offenbar nun von ihr und wies darauf hin, dass uns Jesus ja auch immer wieder vergibt und uns unsere Schuld nicht nachträgt. Ich musste ihm dann aber leider sagen, dass seine Frau hier klare Grenzen gesetzt hatte, die er nicht einhalten wollte oder konnte. Das alleine hätte nach meinem Verständnis in dieser Situation auch schon gereicht. Selbst der Verweis auf »siebenmal siebzigmal Vergebung« aus der Bibel ändert die Sache hier, glaube ich, nicht.
Wir folgen zwar Jesus nach und versuchen ihm ähnlich zu werden, SIND aber nicht Jesus.
Ich habe hier die Situation eines Ehebruchs geschildert, sicherlich gibt es andere ähnlich schwerwiegende und traumatische Erlebnisse, wo es ein Mensch ebenfalls nicht schafft, Vergebung zu erteilen und zu gewähren. Ich würde mir nicht erlauben, über diesen Menschen den Stab zu brechen oder sie zu verurteilen, wenn sie das nicht schaffen – unsere Begrenztheit, nicht alles vergeben zu können, ist menschlich und nachvollziehbar.