Trauma in der Beziehung
– von Andreas Karpinski
»Leben (und damit auch Partnerschaft – Anmerkung des Verfassers) vollzieht sich als Wechselspiel zwischen dem, was uns verfügbar ist, und dem, was uns unverfügbar bleibt, uns aber dennoch ›etwas angeht‹; es ereignet sich gleichsam an der Grenzlinie.«
Hartmut Rosa, Soziologe und Autor des Buchs »Unverfügbarkeit«
Darf ich vorstellen? Meine Partnerschaft
Meine Partnerschaft »überlebt« seit 27 Jahren, in denen es Kriegs- und Friedenszeiten gab – früher überwogen erstere, heute ist sie ein sicherer Ort zum Verweilen. Trotz intensiver Bemühungen gab es immer wieder unerklärliche Konflikte, die ein dauerhaftes Miteinander unmöglich zu machen schienen. Heute sind die Ursachen bekannt. Da waren einerseits die Prägungen durch die Herkunftsfamilien. Andererseits hatten die noch herausfordernderen – weil subtileren – seelischen Verletzungen aus der Kindheit und Jugend massiven Einfluss:
- Sie hatte als Teenager schwere sexuelle Gewalt erlebt. Das war bei Bündnisschluss zwar bruchstückhaft bekannt, jedoch waren die Schwere und die Folgen des Erlebten beiden Parteien viele Jahre verborgen.
- Sehr viel später realisierte er, dass seine kontinuierlichen Mangelgefühle und seine Wut die Ursache einer Entwicklungsstörung (Bindungstrauma) sein könnten, da seine Eltern – zwar wirklich bemüht, aber durch Krieg, Vertreibung und Erziehungsgrundsätze – unfähig waren, ihm als Kind die sichere Bindung anzubieten, die er gebraucht hätte.
- Die beiden haben drei erwachsene Söhne, die heute aufrecht durchs Leben schreiten. Es gibt sogar schon eine Enkeltochter. Oft war es für die drei Jungs schwer, auf diesem »Familienschlachtfeld« Orientierung zu finden, was das Miteinander weiter herausgefordert hat.
Unser Weg mit den Widerständen
Am Anfang unserer Partnerschaft war ich der festen Überzeugung, zu wissen, wie Leben geht. Wir wussten genau, was wir auf jeden Fall anders – und damit besser – machen wollten als unsere Eltern. Dann bekamen wir Kinder.
Doch anstatt unsere Beziehung zu stärken, haben sie diese weiter herausgefordert.
Sie waren verhaltensauffällig und passten augenscheinlich in kein »normales« System. In einer Beratungsstelle deutete man an, dass unsere Familiendynamik die Ursache sein könnte. Damals war ich mir aber sicher, dass ich/wir nicht das Problem für die Defizite waren, sondern alleinig die diagnostizierte AD(H)S-Symptomatik. Wir waren doch Christen, liebten unsere Kinder und meine Frau war den ganzen Tag für sie da. So waren wir auf der Suche nach jemandem, der unsere Kinder »reparieren« würde. Heute wissen wir, dass sie auch Symptomträger in unserem dysfunktionalen System waren.
In dieser Zeit sind wir mit Paarberatung in Kontakt gekommen, weil unsere Not immer größer wurde und die Familie ihr nicht standzuhalten schien. Die Gespräche haben uns gut getan und unsere Beziehung stabilisiert. Manchmal reichte der »Frieden« bis zum nächsten Termin, manchmal leider auch nicht. Im Rückspiegel betrachtet gab es da viele Beziehungsbaustellen, die ich unserer Prägung und Persönlichkeit zuordnen würde: Kommunikationsmuster, Erwartungen, Überzeugungen, Umgangsformen aus den sozialen Systemen inkl. Herkunftsfamilie, in denen wir aufgewachsen sind. Diese fingen wir Schritt für Schritt an, aufzudecken und zu verändern.
Den Ursachen auf der Spur
Ich hatte als Kind gelernt, dass ich dann Bestätigung bekomme, wenn ich den Erwartungen anderer entspreche. Ich hatte gelernt, systemkonform zu sein – ein Sonnenschein. Dieses Muster habe ich auch auf unseren Familienalltag übertragen. »Immer schön den Schein gewahrt« – bis es nicht mehr ging.
Meine – unsere – Kapitulation, das schmerzhafte, für mich damals schambesetzte Annehmen der Realität, stand am Anfang unseres Veränderungsweges. Wir haben uns für unsere Kinder vielfältige professionelle Hilfe ins Boot geholt. Auch wir Eltern haben – jeder für sich – therapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Schritt für Schritt lernte ich, meinen Blick nach innen, auf meine Familie zu richten.
Es war ein besonderer Moment, als ich das erste Mal den Blick auf die emotionalen Bedürfnisse meiner Kinder richten konnte: »Was braucht eigentlich mein Kind, um im System zurecht zu kommen?«
Dass meine Frau Opfer sexueller Ausbeutung ist und dass dies Auswirkungen auf unsere Partnerschaft und Familie hatte, war klar. Damals war ich überzeugt, die Hauptursache für unser Dilemma auch schon identifiziert zu haben. Erst später akzeptierte ich, dass auch ich Hilfe brauchte. In einer Therapie machte ich mich auf die Suche für die Ursache meiner fast unkontrollierbaren Wut und des ständigen Gefühls von Mangel an Annahme und Bestätigung, welches ich im Kontakt zu meiner Frau versuchte zu kompensieren. Es war ein ermüdender innerer Prozess. Heute weiß ich, dass dies die Folgen früherer Bindungsverletzungen sind. Erst dieses Wissen ermöglichte mir, die richtige Unterstützung zu suchen.
Gottes Heilungsweg für mich, ganz anders als erwartet
In Galater 5,22 steht, dass die Frucht des Geistes Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Nachsicht und Selbstbeherrschung ist. Doch obwohl ich Christ war, konnte ich das früher selbst – oder gerade – in meiner Partnerschaft nicht umsetzen. Ich fühlte mich schuldig. Glaubte ich nicht »genug«? War ich nicht konsequent genug in meinem Leben mit Gott? Immer wieder habe ich nach dem einen Schlüssel gesucht, der mich langmütig, liebend … macht. Aber trotz aller noch so ernsthaften Suche gab es keine schnelle Verwandlung. Mein Gebet war damals »Gott, bitte mach mich zu einem Mann nach deinem Herzen, aber wenn möglich, ohne mich zu zerbrechen«. Was ich vermutlich sagen wollte, war »… aber ohne die Schmerzen, die damit verbunden sind«. Gott hat mich auf meinem Entwicklungsweg nie zerbrochen! Stattdessen stellt er bis heute behutsam meine Lebensmuster und Haltungen in Frage und lässt mich Neues erkennen.
Das Tempo meiner Veränderung gestalte ich mit: entweder durch Vermeidung oder mein Mich-Einlassen auf den Prozess.
Unser Traum von Partnerschaft
Damals war ich total unsicher, was richtig ist: Trennung oder Zusammenbleiben? Wähle ich: »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?«, oder »aushalten und kämpfen« um meiner Kinder willen? War ich einfach nur zu feige? Was ist der richtige Weg? Aus meiner Sehnsucht nach Heilung für unser ganzes Familiensystem wurde es meine ganz persönliche »Vision«, unsere Kinder freizusetzen von generationsübergreifenden Denk- und Handlungsmustern, die ich/wir ihnen bisher »mitgegeben« hatten. Dies hat mir oft Kraft gegeben – und dem Dranbleiben einen Sinn. Heute darf ich miterleben, wie meine Kinder frei und auf ihre eigene Weise durchs Leben gehen!
Dass wir uns als Paar und jeder einzeln auf den Weg gemacht haben und bereit waren, unsere Themen zu bearbeiten, hat die Paar- und Familiendynamik verändert. Wir sind sprachfähig geworden und können formulieren, wenn uns etwas in der Beziehung fehlt. Manches ist aber auch noch nicht möglich, vielleicht auch nie … Wir haben gelernt, Nicht-Verfügbares zu betrauern. Dies blieb auch weiterhin schmerzhaft, verlor aber sein trennendes Potential. Meine Partnerin ist eine Kämpferin und Überwinderin. Sie hatte Geduld mit mir, ist stetig drangeblieben und hat mit mir um unsere Beziehung gekämpft. Ohne sie wäre ich vermutlich in meinen Mustern und Verletzungen hängengeblieben. Ich wäre nicht der Mensch, der ich heute bin. Wir waren und sind Entwicklungshelfer füreinander, wenn auch nicht immer freiwillig.
Rückblickend weiß ich, dass es für uns richtig war, ein Paar zu bleiben. Unsere Beziehung ist kein Schrecken ohne Ende, sondern inzwischen mehr und mehr das, was unser eigentlicher Traum von Partnerschaft und Familie war.