Fördert ein Trauma die Entstehung von Resilienz oder entsteht durch Trauma eine höhere Stressanfälligkeit?
– von Judith Paulus
Mich hat das Thema Stress und Resilienz sofort auf das Thema Trauma gebracht. Als Mensch, der mitten in der Bewältigung eines Traumas steht, ist es entscheidend, was ich als Stress empfinde und welche Resilienz ich habe, um damit umzugehen. Ernüchternd ist dabei, welche vermeintliche Resilienz sich bei genauer Betrachtung als lebensfeindliche Bewältigungsstrategie aus der Traumaerfahrung herausstellt. Erfreulich ist wiederum, zu erleben, wie echte Resilienz wächst. Spannend ist auch, was Resilienz bei Trauma fördert.
»Du bist doch eine starke Frau.«, »Du bist souverän.«, »Du solltest dies und das leiten.« – Solche Aussagen hörte ich immer wieder in der Schule, in Gemeinde und Arbeitsstellen. Daneben bekam ich gespiegelt: »Du bist ja voll panisch geworden gerade.« Ich wunderte mich oft, wie ich so souverän und stark sein kann, und plötzlich durch Stress oder einen Trigger ganz panisch, tief verunsichert oder überverantwortlich agierte. Ich lernte meine innere Spannung kennen: Ich dachte, ich sei stark und müsse in der Lage sein, viel Verantwortung zu tragen – und zugleich erlebte ich, dass ich schnell durch Stress oder einen Trigger innerlich aus der Fassung war. Ein Trigger ist ein Reiz, der einen Menschen an seine traumatischen Erfahrungen erinnert und dabei eine heftige Stressreaktion im gesamten Menschen auslöst. Das kann ein Kleidungsstück, ein Duft, ein Mensch, letztlich alles sein.
Ich wollte als Kind einfach geliebt und anerkannt werden. Um Stress und Gewalt zu vermeiden, passte ich mich ganz geschickt den Anforderungen um mich herum an: alles mit mir selbst ausmachen, andauernde Anspannung aus Selbstschutz, im Außen schauen, welches Verhalten gewünscht ist, Verantwortung für Verhältnisse übernehmen, die mich überforderten … Diese Anpassungsmuster können wie Resilienz aussehen. Im Sinne des Überlebens des Kindes sind sie es auch, jedoch nur in diesem Moment! Würde das Kind sich nicht den schlechten Bedingungen anpassen, würde es sich noch mehr Ablehnung etc. aussetzen.
Lebenslügen, die krank machen
Das gilt aber nicht mehr, wenn die Betroffenen heranwachsen. Diese Strategien vermeiden dann tiefe Beziehungen, Entspannung und letztlich ein erfülltes Leben. Viele Bewältigungsstrategien sind also lebensfeindlich. Interessant sind auch destruktive Beziehungsmuster und Beziehungen. Was ggf. nach Resilienz aussehen mag, nämlich die (grenzüberschreitende) Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen und sich zu kümmern, kann Co-Abhängigkeit sein. Es können dann die in der Kindheit erlernten Muster wieder gelebt werden.
Aus Trauma folgende Lebenslügen und destruktive Handlungsmuster können Menschen längerfristig krank machen.
Wer immer stark sein muss, alles alleine machen muss, immer Verantwortung übernimmt und zugleich keine Selbstfürsorge lebt oder glaubt, nicht zu genügen, kann zügig ausgebrannt oder dauererschöpft sein oder körperliche Symptome haben. Mich hat dieser Lebensstil, oder besser »Überlebensstil «, mit dem andauernd erhöhten Stresspegel durch Trauma und diversen lebensfeindlichen Glaubenssätzen wie »Du musst leisten, um geliebt zu werden.«, »Richte dich nach den Anderen aus, die sagen, wo es richtig lang geht.«, »Du bist für die Menschen verantwortlich.«, etc. in eine Erschöpfungsphase gebracht.
Zugleich war da in mir stets ein Mut, alleine neue Schritte ins Leben zu gehen und immer wieder Neues zu wagen. Ein Teil Abenteuerlust. Da ist echte Resilienz. Ich habe mit Anfang zwanzig stark gespürt, dass ich aus meinem System ausziehen muss, wenn mein Leben gelingen soll. Ich bin so froh, dass ich diesen Schritt auch umgesetzt habe. Seither habe ich einiges ausprobiert und Neuanfänge gewagt. Ich war zwar meistens in großem Stress und in einer hohen Anspannung, von Triggern herausgefordert, aber: Ich bin so froh, dass ich diesen Mut habe. Ich habe Ziele erreicht und bin Wege gegangen, die ich heute sehr wertvoll finde.
Wie werden Trigger oder Stressquellen verändert?
Stress kann ich nicht gänzlich aus meinem Leben verbannen. Ich kann auch nicht entscheiden, ob ich mich triggern lasse oder nicht – es passiert. Aber ich kann die Ursachen der Trigger aufarbeiten. Und natürlich trägt ein ausgeglichener Lebensstil dazu bei, nicht so schnell gestresst zu sein oder auch weniger heftig auf einen Trigger reagieren zu müssen. Wenn ich meine Trigger kenne, kann ich sie auch – zum Teil – meiden.
Aufarbeitung bedeutet für mich in dem Zusammenhang mehr als rein logisches Verstehen. Kompetente Berater oder Therapeuten sind grundlegend wichtig, um mich anzuleiten, zu informieren und begleiten. Da Traumata im Körper gespeichert werden, zählen für mich Entspannungsmethoden zum Heilungsweg.
Es braucht Wege, um einen dauerhaft unter Strom stehenden Körper in Entspannung und Stressabbau zu führen.
Ich mag z. B. einfache Atemübungen oder Muskelrelaxation nach Jacobsen, Instrumente wie ein sicherer Ort, EMDR Klopftechniken oder tröstliche Gespräche mit meinem inneren Kind.
Besonders befreiend erlebe ich, wenn das Erlebnis oder die Zustände, die ich erlebt habe, für mein inneres Kind aufgelöst werden. Eine Last löst sich ab, ein Nebel flieht der Klarheit. Erlebtes kann bewusst werden, der Schmerz, der erlittene Verlust und der Schaden benannt werden. Alle Gefühle, die damit hochkommen, haben ihre Berechtigung. Ein Trauerprozess darf sich anschließen, über das Verlorene, was hart war und weh tut und was nicht mehr möglich ist. Alle Gefühle wollen gespürt werden und da sein bis sie sich wieder auflösen – sonst machen sie unentdeckt noch mehr Stress auf Dauer. Sobald sie nämlich durch neue Erlebnisse getriggert werden.
Resilienz und Heilung
Ich finde es wichtig, herauszufinden, wo echte Grenzen für mich sind, die ich beachten möchte, um gesund zu bleiben. Dazu gehört z. B. ausreichend Schlaf, Pausen nach vielen Eindrücken und Zeit, diese zu verarbeiten und auch für mich einzuordnen. Mit zunehmendem Heilwerden merke ich gleichzeitig, wie mein Grund-Stresspegel sinkt. Die Trauma-Erfahrung aufzuarbeiten, empfinde ich tatsächlich stressiger als das Leben mit den alten Glaubenssätzen. Aber ohne Aufarbeitung und das Lernen, wie ich mit Stress und Triggern umgehen kann, wächst keine gesunde Resilienz und ich bleibe in alten Mustern gefangen. Längerfristig kehrt immer mehr Stabilität in mir ein.
Das ist so etwas wundervolles, wenn ich merke, wie mich eine Situation nicht mehr triggert und Stress auslöst, sondern die Resilienz zugenommen hat.
Ich feiere das so richtig. Trigger können immer noch kommen und mich irritieren. Sie bringen mich jedoch nicht mehr so schnell gänzlich aus der Fassung. Alle Instrumente, die ich anwenden kann im Trigger oder Stressfall, und alles, was an Heilung geschehen ist, fließt in meine Resilienz ein. Resilienz »wachsen zu lassen« ist für mich zentral, um mit dem zusätzlichen Stress durch Trauma umzugehen und sich aus dem Trauma »heraus zu lernen und heraus zu wachsen«.