Resilienz in alltäglichen Situationen
– von Andrea Wettstein
Nicht nur große Lebenskrisen sind kräftezehrend. Unser Alltag ist gekennzeichnet von Hektik und Herausforderungen. Resilienz ist deshalb in aller Munde. Was, wenn wir nicht so widerstandsfähig sind, wie wir es uns wünschen? Die Autorin macht Mut: Resilienz kann trainiert werden!
Ein paar Tage vor unserem langersehnten Sommerurlaub … Mein prall gefüllter Terminkalender hielt mich in Fahrt: E-Mails bearbeiten, Beratungsgespräche führen, ein Arztbesuch, dazwischen einkaufen und kochen, die Bewässerung des Gartens überprüfen, die Nachbarin betreffend Katzen instruieren, ein Geschenk für den Kindergeburtstag besorgen und zu guter Letzt musste sämtliche Wäsche gewaschen und gepackt werden. »Jetzt nochmal tief durchatmen und in den Endspurt! Bald bist du in den Bergen und kannst deine Seele baumeln lassen«, sagte ich zu mir und ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
»Gut, dass unser Sohn Joshua noch seine letzten Tage im Kindergarten verbringt, so habe ich Zeit, alles rechtzeitig zu erledigen«, dachte ich hoffnungsvoll. Doch dann riss mich ein Anruf jäh aus meinen Gedanken. Die Stimme der Erzieherin klang eindringlich: »Bitte holen Sie Joshua schnell ab, er fühlt sich nicht wohl.« Ich ließ alles stehen und liegen und eilte zum Kindergarten. Joshua hatte plötzlich hohes Fieber. Die nächsten Tage saß ich gefühlt rund um die Uhr an seiner Seite; pflegte, tröstete, erzählte Geschichten … Meine Arbeit blieb liegen, wichtige Termine fanden nicht statt. Parallel zum Wäscheberg türmte sich in mir ein Berg voller Frust und Stress auf. Dazu kam, dass mein Mann seit Wochen verschollen im Büro unseres Hauses bis Mitternacht über seiner Arbeit brütete. So blieb die ganze Haus- und Familienarbeit an mir hängen
Ärger, Unmut und eine immer größere Gereiztheit machten sich in mir breit. Mein emotionaler Liebestank war leer, Zeit für Zweisamkeit in weiter Ferne. Als ich mit Joshua zusammen den Rasen mähte, klemmte er mir unabsichtlich die Finger ein, was für mich das Fass zum Überlaufen brachte. Vor Schmerz schrie ich auf und rannte ins Schlafzimmer. Ich war wütend, erschöpft und vor allem enttäuscht über mich und meine Reaktion. Was ist denn nun mit meiner Resilienz?
Widerstandfähigkeit kann trainiert werden
Wir alle kennen doch solche Situationen aus dem Alltag. Oft sind es nicht die großen Lebenskrisen, wie der Tod eines geliebten Menschen, der Jobverlust, eine Krankheit etc., sondern die ganz alltäglichen Herausforderungen und Belastungssituationen, die schon deutlich machen, wie widerstandsfähig wir sind.
Resilienz, darin sind sich Forscher einig, ist keine angeborene Fähigkeit, sondern kann trainiert werden.
Das macht Mut. In Zeiten besonderer Herausforderungen, Belastungssituationen und Krisen dient mir diese Fähigkeit als Schutzschild. Sie unterstützt mich dabei, die richtige Perspektive einzunehmen, lösungsorientiert zu denken und mit Selbstvertrauen und Zuversicht auf die Anforderungen zu reagieren.
Allgemein spricht man von sieben Resilienzfaktoren, die einem Menschen helfen, bei Krisen die Balance im Leben nicht zu verlieren. Dazu gehören: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Opferrolle verlassen, Verantwortung übernehmen, Netzwerkorientierung, Zukunftsplanung (Mauritz: 2023). Die Autorin Deborah Karsch, vermittelt in ihrem Buch »4 Wege zu mehr Resilienz. Wie Sie innere Stärke entwickeln und Veränderungen meistern« wertvolle Tipps und Methoden, die mir persönlich sehr weitergeholfen haben, meine Resilienz zu entwickeln (Karsch: 2020). Die gute Nachricht ist: Ich kann resilienter werden! Und damit mehr Lebensqualität gewinnen.
Karsch spricht erstens von der Fähigkeit der Akzeptanz auf dem Weg zu mehr Resilienz. Damit meint sie, sich selbst und das Leben mit seinen Herausforderungen anzunehmen, Misserfolge als Lernchancen zu sehen, ein Ja zur eigenen Vergangenheit finden und aufzuhören mit der ständigen »Wenn ich doch nur …«-Leier.
Indem ich Verantwortung übernehme für mein Denken, Fühlen und Handeln, verstärkt sich meine Selbstwirksamkeit.
Als zweiten wichtigen Weg nennt die Autorin das Fühlen, insbesondere das Wahrnehmen und Reflektieren von Emotionen. Um Stress oder Frust abzubauen, habe ich die Möglichkeit, den Körper mit einzubeziehen, wie zum Beispiel bewusst zu atmen (»Embodiment«). Dazu gibt es von Dr. med. Claudia Croos-Müller auch eine interessante App mit Übungen für mehr Gelassenheit im Alltag (»body2brain«). Ebenso hilft ein Spaziergang in der Natur unserer Seele, zur Ruhe zu kommen und aufzutanken. Bei mir wird meistens ein wohltuender Gebetsspaziergang daraus.
Halb voll oder halb leer?
Den dritten Weg zu mehr Resilienz nennt Karsch das Orientieren. Hier geht es vorrangig um die Entwicklung eines optimistischen Realismus. Welcher Typ bin ich? Sehe ich das halb volle oder das halb leere Glas? Sorge ich mich häufig unnötig und male mir ein Worst-Case-Szenario aus? Jesus fordert uns in Matthäus 6,34 auf, uns nicht zu sorgen: »Macht euch keine Sorgen um den nächsten Tag! Der nächste Tag wird für sich selbst sorgen. Es genügt, dass jeder Tag seine eigene Last mit sich bringt!« (NGÜ 2011)
Auch Karsch fordert uns auf, optimistisch zu denken und zu handeln. Doch was, wenn uns Eigenschaften wie Perfektionismus, Konkurrenzdenken und Versagensängste immer wieder den Optimismus rauben?
Wenn wir unsere Optimismuskiller kennen, können wir sie rechtzeitig entdecken und in eine positive Richtung steuern.
Das Verstehen ist der vierte Weg, den Karsch als Mittel zu mehr Resilienz empfiehlt. Damit ist gemeint, das Problem an der Wurzel zu packen, indem ich die belastende Situation erstmal analysiere, abwäge und mich reflektiere. Als Folge gelingt es mir besser, eine mögliche Lösung zu erkennen. Wer in meinem sozialen Umfeld könnte mich dabei unterstützen? Auch solche Fragen helfen bei der Lösungsfindung: Wann in meinem Leben war ich schon mal mit einem ähnlichen Problem konfrontiert? Wie habe ich damals die Krise gemeistert? Gibt es Ressourcen, die ich für meine aktuelle Situation heranziehen könnte?
In meinem Leben habe ich bereits einige Lebenskrisen gemeistert und etliche Strategien für mich entwickelt, die mir im Heute helfen, angemessen mit kleinen Herausforderungen aber auch großen Krisen umzugehen. Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Szenenwechsel:
Wie ich da erschöpft auf dem Bett liege, atme ich erstmal tief ein und aus. Ich nehme mich und meine Gefühle wahr und frage mich: Was brauche ich gerade? Ist es eine Pause, ein Gebet, ein warmes Bad, ein bestelltes Essen, ein Gespräch mit einer Freundin? Die Selbstanklagen weise ich von mir und entscheide mich, mich später bei meinem Sohn zu entschuldigen. Vom Jammern in der Opferrolle verabschiede ich mich entschieden. Stattdessen akzeptiere ich die Situation und versuche, etwas Gutes darin zu erkennen: Die hohe Belastung hat bald ein Ende. In wenigen Tagen dürfen wir einen schönen Familienurlaub genießen. Mit meiner Körperhaltung gebe ich dieser Hoffnung Ausdruck und richte meinen Kopf nach oben. Mein Vertrauen, dass Gott die Kontrolle hat, hilft mir, mutig aufzustehen.
Resilienz zu trainieren, lohnt sich – für jeden!