Besser und entspannter leben?
– von Christian Siegling
Manchmal ist es cool, manchmal nervt es: Die Abhängigkeit von unseren Smartphones und der digitalen Welt. Ich glaube, ich muss das nicht mehr allzu lange ausführen, die Allermeisten werden wissen, was ich meine.
Bei manchen Menschen formt sich mittlerweile ein Widerstand gegen die ständige Erreichbarkeit per Smartphone und die permanente Beschleunigung des Lebens und sie versuchen, mehr oder weniger
erfolglos auszuprobieren, wie man sich als »Unplugger« oder »Abschalter« fühlt. »Neo-Ludditen« verabschieden sich sogar ganz von ihren Smartphones und besorgen sich uralte Tastenhandys (sog. »Dumbphones«), mit denen man gerade mal telefonieren, aber sonst nichts machen kann.
Die Kulturwissenschaftlerin Jennifer Becker, Jahrgang 1988, hat einen aktuellen Roman dazu geschrieben: »Zeiten der Langeweile« heißt er. Sie beschreibt, wie es ist, offline zu gehen und sich von der digitalen Welt zu verabschieden. Sie teilt ihr Leben nicht mehr – aber so richtig teilt es auch niemand mehr mit ihr. Die wiederentdeckte Langsamkeit wird schnell zu tiefer Langeweile und Einsamkeit.
Die Sehnsucht nach Freiheit aber bleibt.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere hier an einen meiner letzten Artikel zum Thema Entscheidungen, in dem ich über »FOBO« (»fear of better options«) berichtet hatte, also die Angst vor besseren (unbekannten) Entscheidungsalternativen (Ausgabe 02-2023). Im Zusammenhang mit dem Smartphone-Konsum können wir nun auch über »FOMO« sprechen, die »fear of missing out«, d. h. die Befürchtung und das unbehagliche Gefühl, dass man spannende Events und wichtige Informationen oder Ereignisse verpassen könnte, v. a. wenn diese auf Social-Media-Kanälen gepostet werden. Dabei handelt es sich nicht (nur) um eine harmlose Überaufregung. Die AOK hat festgestellt, dass »FOMO« zu Stress, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen führen kann und gibt Tipps, was man gegen die Angst vor dem Verpassen tun kann.1
Ständiger Einblick ins Leben anderer
Die ständige Onlinepräsenz und der Blick in die sozialen Medien (z. B. auch WhatsApp-Statusmeldungen zähle ich hier mal dazu) führt dazu, dass wir fast permanent Einsicht in den (vermeintlich perfekten, aber zumindest interessanten) Alltag anderer Menschen nehmen können.
Das gibt uns ein Gefühl des Verpassens, wenn wir das nicht auch selbst erleben können oder uns sogar fürs »Abschalten« entscheiden.
Soziale Medien erhöhen außerdem die Wahlmöglichkeiten: Obwohl man gerade mit Freunden im Park entspannt, entgeht einem nicht, dass parallel andere auf einem Städtetrip unterwegs sind. Wäre das womöglich nicht noch spannender gewesen? Die Angst, etwas zu verpassen, kann also sogar auch dann auftreten, wenn man aktuell an einem sozialen Ereignis teilnimmt.2
Natürlich kommt auch hinzu, dass wir – auch wenn wir uns dem Social-Media-Trend einigermaßen entziehen können oder wollen – mittlerweile eine ganze Menge an arbeits- und alltagserleichternden Dingen über das Smartphone regeln können, wie aktuelle Dienst- und Einsatzpläne, Routenplanungen, die den aktuellen Verkehrsfluss berücksichtigen, Bank- und Finanzgeschäfte und vieles mehr. Darauf zu verzichten erscheint vielleicht zunächst gar nicht so einfach.
Aus der Angst eine Freude machen
Wie wäre es, wenn du aus der »FOMO« eine »JOMO« machen würdest? Also eine »joy of missing out« – eine bewusste und freudige Entscheidung für den digitalen Detox? Denn echtes Leben findet auch (oder gerade?) offline statt! Kürzere Zeiten des Offline-Gehens und Abschaltens sind sicherlich leichter machbar (z. B. kein Smartphone mehr nach 19.30 Uhr). Damit längere Offline-Zeiten (auch über mehrere Tage oder
sogar Wochen) gelingen, sollte man ein paar Dinge dazu wissen und berücksichtigen.
Hier ein paar Tipps, die ich aus meinen eigenen Erfahrungen mit dem digitalen Detox weitergeben kann:
- Wir alle sind es gewohnt, dass sich andere Personen innerhalb weniger Stunden (oder maximal Tagen) zurückmelden, wenn wir eine WhatsApp-Nachricht, eine E-Mail oder eine Nachricht auf der Mailbox abgesetzt haben. Meine Familie und Freunde kennen es von mir, dass ich fast ständig online bin und bei einer Frage bei WhatsApp spätestens nach sechs Stunden mit einer Antwort gerechnet werden kann. Für eine Zeit des digitalen Detox ist es sehr hilfreich, wenn ich meine Familie und Freunde darüber vorher in Kenntnis setze, dass ich z. B. für die nächsten zwei Wochen nicht erreichbar sein werde. Vielleicht ist es gut, für Notfälle vorzusorgen, aber womöglich muss und kann eure Umgebung auch damit leben, dass ihr überhaupt nicht erreichbar seid, egal was kommt.
- Beschafft euch vorher analoge Informationen, Medien und Hilfsmittel: Wir alle sind es mittlerweile gewohnt, dass man sich mit Hilfe des Smartphones in kürzester Zeit Informationen beschaffen kann über Öffnungszeiten, nahegelegene Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, Bücher und Filme herunterladen und/oder streamen kann und bei einem Waldspaziergang den gefundenen Pilz gleich mit der entsprechenden App auf Genusstauglichkeit scannen und überprüfen kann. Wenn ich mich also für eine Zeit des digitalen Detox entscheide, ist es hilfreich, vorher genau zu überlegen, was ich in dieser Zeit brauchen werde: Landkarten auf Papier und vielleicht sogar einen Handkompass? Einen Lageplan mit Telefonnummern und Öffnungszeiten eines Restaurants oder Hotels? Ein Bestimmungsbuch für Pflanzen und Pilze? Ein gutes Buch (gedruckt oder offline auf dem Kindle) zum Lesen? Trotz aller guter Vorbereitung gibt es Fragen, die ich unterwegs nicht beantwortet bekomme. Hier hat sich für mich ein kleines Notizheft als hilfreich erwiesen: Dort schreibe ich rein, was ich recherchieren möchte, wenn ich wieder online bin. Das entlastet meinen Kopf und mein Hirn.
- Die Zeit und Umgebung bedenken: Meine letzten Zeiten des digitalen Detox waren Schneeschuhtouren im nördlichen Lappland. Hier gab und gibt es sowieso keinen Empfang und keine Erreichbarkeit, selbst wenn man es wollte. Nach nur drei Stunden Fußmarsch ist der Handyempfang für die nächsten zehn Tage weg. Das macht es deutlich einfacher: Es sitzt am Ende des Tages keiner in der Fjällhütte, der seine Erlebnisse online posten und die Social-Media-Kanäle anderer Menschen abrufen kann. Man ist in der Tat zu einem einfachen, analogen Leben gezwungen, sich mit dem zu beschäftigen, was man dabeihat und sich mit den Menschen zu unterhalten, die eben um einen herum sind – oder zu lernen, sich alleine zu beschäftigen. Schwierig ist eine Zeit des digitalen Detox dann, wenn alle ständig online sind und mit ihren Smartphones um einen herumfuchteln und begeistert darauf hinweisen, ob man dieses oder jenes gesehen oder gelesen hätte und das wäre ja »superwichtig«. Da fühlt man sich sehr rasch zweitklassig als offline lebender Mensch.
- Ist ein Leben im Off langweilig? Hier ist es wichtig, schöne Dinge zu planen: Offline-Erlebnisse, die die Sinne womöglich mehr berühren als ein Online-Event das tun kann. Vielleicht haben das manche Menschen in den modernen Zeiten aber vergessen, weil wir unser Smartphone zehnmal öfter am Tag berühren als diejenigen Menschen, die wir lieben und die uns wichtig sind. Wie wäre es also beispielweise mal mit einem Ehe-Entspannungswochenende? Aber auch ein Saunanachmittag, eine Yogastunde oder ein anregendes eiskaltes Fußbad in der nächsten Kneippanlage in der Natur können vielleicht erste Ideen für schöne Offline-Zeiten sein.
- Offline-Zeiten großzügig planen: Gönnt euch noch einen Tag extra, also die für euch vereinbarte Detox-Zeit und einen weiteren Tag. Eurem Umfeld gebt ihr aber nur die gesamte Zeitspanne an. An diesem Zusatztag könnt ihr selbst entscheiden, welche Nachrichten und Events ihr abruft und welche nicht und müsst euch nicht dem abrupt einsetzenden Online-Sturm aussetzen (»Du hast doch gesagt, ab Sonntag 12 Uhr bist du wieder online!«). Das hilft auch, stufenweise wieder »einzusteigen«.
Wieviel digitaler Detox ist nötig, um besser und entspannter leben zu können?
Die Wissenschaftler der Ruhr-Uni Bochum kamen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es nicht notwendig sei, auf die Nutzung des Smartphones komplett zu verzichten, sondern dass auch die tägliche einstündige Reduktion einen deutlich positiven Effekt auf den Lebensstil und das Wohlbefinden der Teilnehmenden hatte.3
Mir selbst tut es gut, digitale Detox-Zeiten mindestens einmal im Jahr für ein oder zwei Wochen einzuplanen und dann wirklich gar nicht erreichbar zu sein. Das lüftet mein Gehirn und meine Psyche ungemein! Gerade plane ich beispielsweise, zwei Wochen im digitalen Detox auf einem Schneeschuhtrekking in Grönland unterwegs zu sein, zusammen mit einer Gruppe von Abenteuerlustigen. Und ich freue mich schon sehr darauf, mit allen Sinnen offline unterwegs zu sein. Übrigens: Mobilfunkempfang gibt es dort sowieso keinen. Zugegeben: Ich habe einen Satellitentracker dabei, mit dem ich über Satelliten einen Notruf an ein internationales Hilfenotrufsystem absetzen kann. Aber der ist nur für überlebenswichtige Notfälle vorgesehen.
- https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/jomo-gegen-fomo-tipps-gegen-die-fear-of-missing-out/ ↩︎
- https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/jomo-gegen-fomo-tipps-gegen-die-fear-of-missing-out/ ↩︎
- https://news.rub.de/wissenschaft/2022-04-20-psychologie-weniger-smartphone-mehr-wohlbefinden ↩︎