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Leben als einsame Kämpferin?

Die Autorin ist der Redaktion bekannt.

In meinem Leben hatte ich viele Berührungspunkte mit dem Thema Einsamkeit. Immer wieder war ich herausgefordert, mich auf besondere Lebenssituationen einzustellen: als Schwester eines behinderten Bruders, als alleinerziehende Mama und als Long-Covid-Betroffene…

Die Anfänge
Als Kind lernte ich, mich alleine zu beschäftigen. Ich hatte einen jüngeren, behinderten Bruder. Meine Eltern waren regelmäßig mit ihm im Krankenhaus. Ich sollte eine »verständnisvolle große Schwester« sein, und mich allein beschäftigen. Das habe ich mit Basteln, Bücher anschauen sowie alleine Spielen gut geschafft. Heute weiß ich, dass in dieser Situation eine Rollenumkehrung (Parentisierung) entstanden ist: Ich fühlte mich für den kranken Bruder und die phasenweise depressive Mutter verantwortlich. Was mir damals sehr geholfen hat, war meine Kinderbibel, die sagte: »Jesus ist immer bei dir!« Also habe ich seit Kindheit Zwiegespräche mit Jesus geführt. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich. Das hat mich sehr getröstet.

Als Teenager hatte ich dann endlich eine feste Schulfreundin, mit der ich mich austauschen konnte. Später lernte ich meinen Mann kennen, wir heirateten und bekamen drei Jungs. An die Zeit als Ehefrau und Mutter denke ich gerne zurück. Ich hatte durch die Hobbys meiner Kinder Kontakte zu anderen Eltern und meinen Mann als Gegenüber für Austausch und Gemeinschaft. Als er jedoch die Arbeitsstelle wechselte und nur noch jedes zweite Wochenende nach Hause kam, änderte sich das. Es fühlte sich an, als wäre ich alleinerziehend, denn es war kein Ansprechpartner im Haus. In Konflikten und Geschwisterstreit stand niemand neben mir. Fahrten zum Fußball oder Schulsprechtermine habe ich gemanagt. So war ich schon ein Stück weit darauf vorbereitet, was dann folgte…

Trennung von meinem Mann
Die Familie war geschockt: »Man schmeißt seinen Mann nicht einfach wegen Krankheit raus! Du willst Christ sein?! Die Kinder werden dir mal Vorwürfe machen…« Die Beschimpfungen hörten erst auf, nachdem die Verwandten persönlich vom Jugendamt belehrt wurden: Ich musste die Kinder schützen und hatte richtig gehandelt. Tatsächlich hatte ich meinen alkoholkranken Mann nicht rausgeschmissen, sondern durfte ihn – auf Anweisung der psychiatrischen Klinik – nicht mehr rein lassen. Ich war hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Abschied, Vorwürfen und Schuldgefühlen, Erfahrungen mit Amt und Gesetz… Lange blieben viele Fragen offen.

Mein Mann hatte sich, wie er es nannte, für »einen neuen Lebensstil« entschieden. Es sei sein »Recht auf freie Meinungs-Änderung«. Dass er sich weigerte, sich medizinisch behandeln zu lassen, war sein Problem. Aber dass ich seinen »Scherbenhaufen« alleine aufräumen musste, sollte meins sein? Verhaltensauffällige Kinder, Schulprobleme, Laufereien zu Behandlungen, … Ich hatte keine Wahl. Aber ich hielt durch, für die Kinder.

An manchen Tagen wurde mir alles zu viel: Ich wollte manchmal auch alles hinschmeißen und weglaufen, so wie er.

Aber ich wusste, dass ich diese Gedankenkreise stoppen musste.

Das ständige, langfristige Warten auf Klärung von allerlei Sachlagen kostete emotional viel Kraft – und Geld. Es brauchte Geduld: rechtliche Fragen (Scheidung, Versorgungsausgleich, Rententeilung), finanzielle Sicherheit (Job, Unterhalt, Kosten) und hektischer Alltag (schnell zur Kita, zur Arbeit, noch Einkaufen,…). Aber ich musste lernen, zur Ruhe zu kommen, trotz meiner ungeklärten Zukunft. Mit Hilfe von Büchern, Gesprächen und team-f Seminaren (»Trennung oder Scheidung – und nun!?«, »Freiheit erleben – Beziehungen klären«) konnte ich meine Gedanken und Gefühle neu sortieren.

Der Papa fehlte
Die Rollenverteilung innerhalb der Familie und zwischen den Geschwistern musste sich neu ordnen. Mein ältester Junge übernahm die Vater-Ersatz-Rolle für die Jüngeren, leider. Es war nicht leicht, ihn abzuhalten. Der Mittlere wollte weiterhin der Chef sein, Narrenfreiheit genießen, wie der Papa. Ich musste mich immer wieder neu entscheiden, ihn dennoch anzunehmen, statt abzulehnen. Der Jüngste wollte lieber noch klein bleiben und verwöhnt werden. Er klammerte sich ständig an mich und sagte tonlos traurig: »Papa ist weggegangen.« Ich wusste, was ich ihm antworten musste, auch wenn es mir schwerfiel: »Ja, aber Mama bleibt bei dir! – Du hast keine Schuld!«

Kinderbücher über Trennung halfen mir, die Fragen der Kinder zu beantworten. Der Wechsel unserer Gefühle wurde gut erklärt. Ich informierte die Mitarbeiter im Kindergarten und Schule. Ihnen fiel auf, dass die Kinder mit der Zeit ruhiger und ausgeglichener wurden.

Ich habe lange für männliche Vorbilder gebetet. Die fanden wir bei den Pfadfindern. Es war sehr wertvoll, dass ich dortige Mitarbeiter bitten konnte, »von Mann zu Mann« mit den Jungs zu reden. Von ihrem Opa haben sie viele handwerkliche Dinge gelernt.

Ohne Hilfe geht es nicht
Wir bekamen gebrauchte Kinderkleidung geschenkt oder fanden Nützliches im Secondhandshop. Das half finanziell. Gott versorgte mich mit einem Job. Ich arbeitete in der Altenpflege. Mir tat die Ablenkung und Dankbarkeit der Menschen gut. Aber es kostete auch viel Kraft… Oft kam ich von der Arbeit nach Hause, brauchte erst Pause, um Kraft für die »nächste Schicht« zu sammeln. Ich erklärte den Kids: »Mama macht jetzt Pause, bis der große Zeiger der Uhr auf der 6 steht. Dann komme ich zu euch.« Die Kinder haben meine Mittagspause schnell akzeptiert. Danach ging es für alle viel besser weiter.

Ich musste zu dieser Zeit konkret um Hilfe bitten. Eine Freundin kam regelmäßig, übernahm Wäsche, half bei Hausaufgaben und hatte ein offenes Ohr für mich. Ich bin sehr dankbar, dass ich intensiver als je zuvor mit Freunden austauschen und beten konnte. Mit Lehrern und Bekannten habe ich gemeinsam überlegt, welche weiterführende Schule geeignet ist…

Mit der Zeit wurde das Gefühl, alles sei zu viel, weniger. Das zu beobachten tat gut: Die Last wurde leichter. Es dauerte ca. drei Jahre, bis äußerliche und emotionale Stabilität wieder hergestellt war. Ich war dankbar, dass Gott uns so weit gebracht hatte. Wir hatten viel geschafft. Das gab Zuversicht, auch für zukünftige Herausforderungen.

Im Leben gibt es immer wieder Situationen, in denen wir plötzlich verwirrt am Ende der Sackgasse stehen, wie am Abgrund. Wir sind derart im Schock und Schmerz, dass es keinen Ausweg zu geben scheint.

Solange unser Blick auf die »davon schwimmenden Schätze« fixiert ist, sehen wir nicht, dass aus der anderen Richtung etwas Neues kommt.

Wir müssen immer wieder alte Pläne, Lebenskonzepte loslassen, um offen zu werden für Zukünftiges. Eines half mir, den Kopf oben zu halten: »Wenn auch die Menschen gehen, Gott bleibt treu!«

Long Covid – Einsamkeit auch nach Ende des Lockdowns
So sieht meine aktuelle Situation aus: Eine akute Corona-Infektion wurde bei mir zur chronischen Behinderung. Ich gehöre zu den zwei Prozent aller Menschen weltweit, die nach Jahren noch arbeitsunfähig bleiben und berentet werden müssen. Das Virus kann sich im ganzen Körper und Gehirn ausbreiten und hunderte verschiedene Symptome verursachen (Multi-System-Erkrankung): Mein Puls sinkt im Sitzen auf 35-60, statt gesunden 60-80 Herzschlägen pro Minute. Doch beim Bewegen schnellt er auf 120-180. Herzrasen, Luftnot, Schwindel, Augenflimmern – leider lebensgefährlich.

Einsamkeit im »Hausarrest«
Ich bin hauptsächlich auf das Leben im Haus angewiesen. Meine körperliche Kraft reicht nur für kurze Wege – zur Krankengymnastik, zum Supermarkt… Nach einer Stunde muss ich zurück, ins Bett und schlafen. Ich brauche täglich viele Ruhepausen.

Soziale Kontakte?
Bisherige Kontakte in Beruf, Ehrenamt, Kirchengemeinde, Hobby- und Sportgruppen sind weggefallen. Mir fehlt sogar die Kraft für Besuche und Gespräche. Schon nach einer halben Stunde wird es mir zu anstrengend. Mein Kopf dröhnt und quietscht. Trotz wiederholter Erklärungen meiner täglichen Einschränkungen bleibt es für viele Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen unvorstellbar. Ihre wirklich gut gemeinten Sprüche und Erwartungen wirken leider eher frustrierend, setzen unter Druck, führen zu Streit oder Rückzug.

Was hilft?
Die Forschung findet verschiedene Auffälligkeiten, aber es gibt keine Therapien oder Medikamente. Die derzeit einzige mögliche Hilfe ist konsequentes Ausruhen, Kräfte einteilen (Pacing) und auf Aktivitäten verzichten. Patienten müssen vorausschauend, schon Tage vor einem wichtigen Termin, Ruhezeiten einplanen und »auf Vorrat« Kraft sammeln.

Eine Puls-Uhr mit Body-Battery hilft mir, den inneren Energietank im Blick zu behalten. Ich muss mich und meinen Körper vor minimaler Überlastung schützen! Mir das immer wieder bewusst zu machen hilft, Frieden zu schließen mit der Situation, mit mir selbst, mit der eigenen Biographie. »Schütze deinen Körper, du hast nur diesen einen!«

Identitäts-Krise?
Diese sehr begrenzte körperliche und kognitive Kraft lässt mir Lebensmöglichkeiten, die etwa einer 80-jährigen Person entsprechen. So gesehen »fehlen« mir rund 30 Lebensjahre. Meine neuen Kontakte in der Senioren-Sitzgymnastik führen mir diese Tatsache vor Augen. Das ist traurig, aber mir verhilft die Konfrontation mit der Realität auch zu neuer Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung.

Wer bin ich noch? Was kann ich noch? Wozu lebe ich noch? Diese Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten, auch für Angehörige und Freunde. Andererseits bin ich dankbar, dass ich mehrmals knapp überlebt habe – Gott hat noch einen guten Plan! Alle Beteiligten müssen in der neuen Situation lernen, zu den sehr engen Grenzen »Ja« zu sagen.

Eigene Ressourcen entdecken
Ich betete um Ideen für neue, machbare Ziele und Mut. An »fitteren« Tagen kann ich zuhause manchen Hobbys nachgehen, zum Beispiel malen oder musizieren. Telefonate sind mir jetzt viel wichtiger, denn ich muss dazu nicht außer Haus gehen. Das spart Kraft. Und bei Bedarf kann ich ein Telefongespräch leichter beenden. Ich brauche Hirn-Training: Am Telefon spielen wir »Stadt, Land, Fluss« oder lösen Kreuzworträtsel. Auch Online-Treffen ermöglichen mir Austausch und Gebetsgemeinschaft.

Was ich mir gegen Einsamkeit bei Post-Covid wünsche?
Der Austausch mit anderen Betroffenen ist hilfreich. Aber die Selbsthilfegruppen sind überfüllt. Es wäre schön, in kurzen Online-Treffen mit anderen Covid-beeinträchtigten Christen in Kleingruppen gemeinsam und füreinander zu beten.

Ja, manchmal frage ich: »Jesus, wo bist du? Ich brauche dich!« Ich weiß, dass ER alle Lebenslagen sieht und mit seinem Trost treu bei uns ist, gerade wenn wir uns allein und kraftlos fühlen. Ich bin froh über einzelne fittere Tage, wie Gottes Wort in Prediger 7,14 sagt:

»Wenn du gute Tage erlebst, dann freue dich über dein Glück, genieße es und sei dankbar. An schweren Tagen denke daran: Gott hat beide gemacht.«

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