Die Autorin ist der Redaktion bekannt.
Acht Jahre sind vergangen, seit ich mich aus einer einsamen Ehe gelöst habe. Mein Kind war zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt. Nach außen wirkten wir wie eine ganz »normale« Familie. Vieles funktionierte ja auch. Trotzdem haderte ich und fühlte mich immer wieder emotional unerträglichen Situationen ausgeliefert.
Ich möchte hier auf keinen Fall den »bösen Ehemann« skizzieren. Mein damaliger Mann konnte einfach nicht anders. Sich mitteilen, mich mitteilen lassen, ein WIR entwickeln – das war ihm nicht möglich. Allerdings musste ich diesen Fakt im Laufe der Ehe lernen. Denn erst über einen unglücklichen Jobverlust kam die Diagnose Asperger-Autismus ans Licht. In der Eheberatung klärte man mich auf, was ich von meinem Ehemann erwarten könne und was nicht. Emotionale Anteilnahme beinhaltete dies nicht, außerdem musste ich mir seine Aufmerksamkeit permanent mit seinen Spezialinteressen teilen (eher steckte ich zurück) und sein starkes Bedürfnis nach strikter Ordnung und Prinzipien stellte menschliche Bedürfnisse oft in die zweite Reihe.
Solange ich berufstätig war und Geld verdiente, hatte ich Freiräume. Mit dem Muttersein verlor ich die finanzielle Eigenständigkeit und hatte keine Handhabe in unseren Finanzen. Mir fehlte es an innerer »Substanz«, in dieser Atmosphäre und seiner Art der Lebensgestaltung souverän zu bestehen. Durch meinen persönlichen Mangel an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein bröckelte mit jedem Jahr unserer Ehe meine Resilienz immer weiter dahin.
Emotional allein mit dem Baby
Die Schwangerschaft war ungeplant. Ich freute mich über diese Überraschung und gleichzeitig beschlich mich ein ungutes Gefühl, dass das sehr schwierig werden könnte. Es war schwer, meinem Mann die gute Nachricht zu überbringen. Er machte mir schwere Vorwürfe, warum ich ihm nicht vorher von meinem »Schwangerschaftsverdacht« erzählt habe und außerdem sei der Zeitpunkt nicht der vereinbarte. Ich hoffte, dass sich die Lage beruhigen und mit dem Verlauf der Schwangerschaft die Freude wachsen würde. Er kam mit zu einer Untersuchung. In der darauffolgenden Untersuchung fragte mich die Ärztin, ob die Beerdigungsstimmung sich gewandelt hätte. Leider nein.
Die Geburt brachte neue Hoffnung, es machte sich doch so etwas wie Staunen und Stolz breit. Der Alltag mit Baby wurde dann aber doch zu meiner alleinigen Angelegenheit. Wenn ich krank wurde, musste ich das Kind und mich weiter versorgen. Einmal rief ich eine Freundin an, da ich nicht mehr konnte. Sie fragte den Vater, wo Kleidung für das Kind sei – er wusste es nicht. Er hatte sich entschieden, sich nicht um das Kind zu kümmern und diese Entscheidung war unverrückbar.
Unsere Ehe wurde immer kälter, ich machte immer mehr Fehler und meine Baustellen in meiner eigenen persönlichen Schwäche trieben meinen Mann immer mehr in die Selbstbestätigung seines abwesenden Verhaltens.
Ihm fiel es schwer, diese Veränderung und die Art und Weise des ungeplanten Überstülpens »hinzunehmen«. Es schmerzte, dass niemand sehen konnte, wie es bei uns aussah. Es schmerzte, dass niemand meine Einsamkeit sah. Die Einsamkeit entstand nicht durch eine »Abwesenheit« in der Präsenz, sie entstand durch die Abwesenheit von Wärme, Verständnis, Interesse. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Erkalten der Liebe.
Eine schwere Entscheidung
Ich verspürte meinem Kind gegenüber Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen. Ich konnte doch nicht einfach diese Situation verlassen und die Möglichkeit des Vater-Erlebens nehmen! So wägte ich lange ab:
»Soll ich gehen? Ist das noch gut für das Kind? Wie viel Einsamkeit halte ich aus?«
Als mein Sohn drei Jahre alt war, musste die Entscheidung getroffen werden und ich verließ meinen Mann. Zu diesem Zeitpunkt lebten wir bereits zwei Monate in getrennten Wohnungen. Dies sollte Entspannung bringen und wieder einen Weg in die Kommunikation möglich machen. Mein Mann sah allerdings mich als Verursacherin dieser Trennung und damit verlor ich jegliche Legitimität auf freundlichen Kontakt und informellen Austausch.
Nun saß ich völlig allein in einem kleinen Dorf weit weg von meiner Heimat und Familie. Ich bekam immer mehr Angst, keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr zu haben. Ein Gericht hätte mir auferlegen können, immer in der Nähe des Vaters zu leben. Meine beruflichen Aussichten sahen schlecht aus, ich hatte niemanden für meinen zunehmend verhaltensauffälligen Sohn. Meine Entscheidung fiel nach vielen weiteren Beratungen unterschiedlichster Art. Als ich meinem Mann davon erzählte, leerte er umgehend unser Konto und ich hatte nur noch das Geld, das ich bei mir hatte. Damit trat ich die Rückreise in die Heimat an.
Ein neues Leben aufbauen
Mit Beginn der Trennung und meinem Wegzug begann für mich die offizielle Seite des Alleinerziehenden-Daseins. Aber ich fühlte mich gar nicht mehr alleinerziehend. Nun waren Menschen da, mit denen ich Alltag teilte, die mir zuhörten, die sich liebevoll mit um mein Kind kümmerten. Da ich vollkommen neu anfing, musste ich überall meinen Status bekannt geben. Das löste bei vielen Wohlwollen aus. Ein besonderer Gewinn war, dass ich wieder meine Familie in der Nähe hatte und niemand mir Vorwürfe machte. So konnte mein Kind herzliche und geborgene Zuwendung, die es so dringend brauchte, besonders durch die Großeltern erfahren. Gleichzeitig schämte ich mich sehr, dass ich ihm bisher kein besseres Zuhause bieten konnte.
Mein Kind zeigte erhebliche Entwicklungsverzögerungen und es drohte sich eine Angststörung zu manifestieren.
Es begannen Jahre mit Therapie und dem Aufbau von einem ganz neuen Leben. Das Einsam-Sein mit Kind hat zu einer starken Verbindung zwischen meinem Kind und mir geführt. Mein Heilungsprozess beinhaltet unter anderem, loszulassen. Wie ich mit meinem Kind gelebt habe und was ich erlebt habe, zeigt sich eigentlich erst im Heute. Denn damals war das alles für mich ganz normal – ich kannte ja nichts anderes. Automatisch springen meine »Schutzantennen« an und ich will mich schon innerlich dazwischenwerfen. Nicht um mein Kind vor Gewalt zu schützen, sondern vor einem abwesenden Vater. Das klingt ganz schön verrückt. Wenn ich mit meinem Kleinkind mit anderen Familien zusammen war und sah, wie Väter mit dabei waren, spürte ich zwar inneren Schmerz, aber dennoch wollte ich meine erlebte Realität als gut und normal akzeptieren – bis es eben nicht mehr ging.
Ich habe seither nicht nur die Zeit meiner Ehe innerlich verortet, sondern schaffe es immer mehr, wirklich zu verstehen »wie das passieren konnte«. Ich habe als Kind gelernt, zu tun, was von mir erwartet wird und Befindlichkeiten und Bedürfnisse nicht wahrzunehmen. Als ich meinen Mann kennengelernt und mich verliebt hatte, hatte ich so gut wie keinen Zugang zu meinen Bedürfnissen und sehr viel Selbstkontrolle in mir. Mein Mann bot eine augenscheinliche Sicherheit, anfangs auch viel Begeisterung, strahlte viel Zuversicht und Positives aus. Dass er gar nicht die Kapazitäten hatte, eine Beziehung auf Augenhöhe zu gestalten, geschweige denn mit meinen »merkwürdigen« Befindlichkeiten zurecht zu kommen, bestätigte mich permanent darin, ungenügend zu sein. Und sollte ich doch ein Bedürfnis in mir spüren, war das sicher das »falsche«.
Heilsame Erfahrungen
Ich lebe heute in zweiter Ehe. Mein Kind ist munter und fröhlich, besucht das Gymnasium und lernt mit Bonus-Geschwistern ein neues Familienleben kennen. Ich lerne, was es bedeutet, zusammenzugehören, jemanden an der Seite zu haben, der zu mir steht.
Die Einsamkeit der ersten Ehe war sehr tiefgreifend und ich bin heute in meiner Ehe herausgefordert, alte Wunden zu verarbeiten und loszulassen.
Genauso spüre ich aber auch, dass im Gegenüber-Sein und im Gegenüber-Erleben Verbundenheit entsteht, die mir endlich erlaubt, Zugehörigkeit zu erfahren. Diese dann auch in mir zu halten und nicht alles aus der Perspektive der »Einsamen« zu betrachten ist ein Prozess, der im Alltag immer wieder Raum einnimmt und damit die Chance gibt, alte Wunden heilen zu lassen.