– von Marco Schaarschmidt
Spielt es eine Rolle, mit welchem Familienstatus ich durch den Alltag gehe? Manchmal anscheinend schon, zumindest bei mir. Es gibt Momente, in denen es sich in meinem Inneren regt. Situationen, in denen ich mein Singlesein bewerte. Gefühle kommen hoch, deren Ursprung an ganz anderer Stelle liegt.
Eine Woche im April
Ich nehme dich mit hinein in ein paar Erlebnisse, die sich an zwei Wochenenden im April ereignet haben. Es waren keine lebensveränderten Momente, sondern eher gewöhnliche Situationen, in denen ich mich exemplarisch als Single wahrgenommen habe. Im Alltag denke ich oft gar nicht an meinen Beziehungsstatus, aber da war es anders. Darin konnte ich Verbindung und Zugehörigkeit sowie Distanz und Einsamkeit spüren. Mir geht es hierbei um das Empfinden, um Sehnsucht und einen Blick auf Entwicklungsschritte.
Freitag bis Montag: unter Singles
Es waren ja im Grunde nur ein paar Tage, welche ich mit mehr als 40 Personen bei dem Seminar »Hike & Soul« von team-f in den Berchtesgadener Alpen verbracht habe. Personen – das hört sich ganz schön abstrakt an. Genaugenommen waren fast alle Singles. Eigentlich ganz fremde Menschen, doch bei der Verabschiedung fühlte es sich so vertraut an. Wegbegleiter auf Zeit. Wahrscheinlich werde ich viele von ihnen nie wiedersehen und trotzdem war es schön, diese Tage mit ihnen geteilt zu haben. Das klingt schon recht wehmütig. Vielleicht sollte ich noch einmal auf die Rückseite meines Steckbriefes schauen. Jeder von uns hatte ein Blatt mit Foto sowie ein paar persönlichen Angaben mitgebracht und es an einer Tafel ausgehangen, um so das Kennenlernen zu erleichtern. Zum Abschluss hatten wir uns diese Steckbriefe mit der Rückseite nach außen gegenseitig auf den Rücken geklebt. Nun durften wir das Positive, das wir in den einzelnen Personen gesehen hatten, ausgeschrieben auf dem Zettel zurücklassen. Bei mir waren es viele liebe Worte. Von wem diese wohl gewesen sein könnten? Von der Schrift allein kann ich ja nicht einmal schlussfolgern, ob es eine Frau oder ein Mann war. Eigentlich ist es auch egal, da die Ermutigung bleibt.
Vom Ratsuchenden zum Berater – aus der Sehnsucht nach Gemeinschaft zum Teilnehmer, Mitarbeiter und Leiter
Die Suche nach Gemeinschaft hatte mich mit Anfang 30 loslaufen lassen. Damals kannte ich weder den Weg noch das genaue Ziel. Von team-f hatte ich noch nichts gehört und Singleveranstaltungen gab es zu dieser Zeit dort auch keine. Ich wusste nur, dass ich eine Veränderung wollte. Letztlich wurde mein Weg von Jesus erst einmal in eine andere Richtung gelenkt – er ging nach innen, zu mir selbst. Erst durfte ich meine Gaben und schließlich meine Berufung entdecken. Meinem naturwissenschaftlich geprägten beruflichen Weg stand nun ein deutlich sozialeres Profil gegenüber. Dazwischen und danach gab es viele kleine Heilungsschritte. Solche Zwischenstationen hätte ich eigentlich lieber übersprungen und wäre gleich zum Ziel geflogen. Währenddessen war mir allerdings noch nicht bewusst, wie zukunftsprägend diese Erfahrungen werden sollten. Gott hatte meine Sehnsucht genutzt, um mich zum Starten zu bringen. Wie Ton auf der Töpferscheibe wurde auch ich durch die Bewegung formbarer.
Freitag/Samstag: unter Eltern
Heute werde ich wieder Teil einer Gruppe sein. Dieses Mal ist es nicht bei team-f, obwohl »inneres Kind« drauf steht. Dieser inzwischen fast inflationär gebrauchte Begriff bezeichnet und symbolisiert die im Gehirn gespeicherten Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit. Es sind fast nur Frauen angemeldet und ein paar von ihnen haben ihre Männer mitgebracht. Beim Blick in die Runde wird mir auf einmal bewusst, dass ich wahrscheinlich der Einzige im Raum bin, der keine Kinder hat. Eine Mutter hat sogar ihren Säugling dabei. Die Situation macht mich nachdenklich. Es fühlt sich ganz anders an als letztes Wochenende mit den Singles. Auf einmal spüre ich eine Einsamkeit in mir aufsteigen, obwohl ich doch mitten unter sympathischen Menschen sitze. Bei der Vorstellung der Mitarbeiter erzählen alle anderen von der Anzahl ihrer Ehejahre, den Kindern und manche sogar von den Enkeln. Ich sage nichts zu meinem Familienstand. Ledig, Single, keine Kinder. Irgendwie fällt es mir im Moment schwer, dies auszusprechen. Vor Jahren hätte eine solche Situation meine Stimmung kippen lassen können, aber nun geht es so schnell vorüber wie es gekommen ist.
Heute hilft es mir, dass ich mein Leben für mich und andere Menschen bereichernd gestaltet und Sehnsüchte als einen Teil davon angenommen habe.
Vom passiven Abwarten zum aktiven Vorangehen. Als ich am Abend nach Hause komme, finde ich es gar nicht mehr so schlecht, dass ich mich nach einem intensiven Tag jetzt nicht noch um erwartungsvolle Kinder kümmern muss. Ich bin erschöpft und die Ruhe tut mir gerade richtig gut.
Am nächsten Tag ist die Gruppe noch mehr zusammengewachsen. In meiner Aufgabe als Gesprächsleiter gehe ich auf. Es macht mir Spaß, die Menschen abzuholen, zuzuhören und ihre Fragen zu beantworten. Dann ist endlich Mittag. Mein Magen weiß es schon, bevor ich auf die Uhr schauen kann. Auf dem Weg zu Spiegelei und Spinat kommt ein Gedanke in mir hoch. Werden wir nun ausschließlich über Erziehungsthemen sprechen? Ich versuche, die Vorstellung vorbeiziehen zu lassen. Dann wird es doch ganz anders und ich erlebe eine gute Tischgemeinschaft mit angenehmen Gesprächen. Im Speiseraum sitzen zudem die Teilnehmer einer anderen Gruppe. Diesmal sind es keine weiteren Mütter und Väter. Es ist ausgerechnet ein Seminar für Verliebte.
Ich muss nun schmunzeln und denke, dass Gott Humor hat und mir in diesen Tagen entweder zeigen will, woran ich noch innerlich arbeiten sollte oder wie viel gelassener ich inzwischen damit umgehen kann. Auch wenn es schön ist, die vielen glücklichen Menschen zu sehen, bin ich heute jedenfalls lieber mit den Eltern zusammen.
Das Gute wird zu schnell unsichtbar und das Fehlende nimmt diesen Raum ein.
Nun sind eineinhalb Jahrzehnte vergangen, seit ich mich auf meinen Weg begeben habe. In solchen Situationen bemerke ich oft gar nicht mehr, wie wertvoll es ist, meine Begabungen zu kennen und mit Leben zu füllen. Dieses besondere Geschenk, dass ich mich gerade als Single so vielfältig mit meiner Berufung einbringen kann, mir vieles leicht von der Hand geht und sich die Türen wiederholt von allein öffnen, wird von mir leider allzu häufig als selbstverständlich angesehen. Mein abweichender Familienstatus unter den Eltern und Verliebten ist mir hingegen sofort aufgefallen. So selektiv kann die eigene Wahrnehmung sein.
Scheinbar fällt es mir immer noch nicht so leicht, dass mein Lebensweg in diesem Punkt nicht nach meinen Vorstellungen verlaufen ist. Immerhin durfte ich ja bereits auf geistlicher Ebene Vater sein. Da muss ich schon bewusst innehalten, um auch das Gute wieder in den Blick zu bekommen, obwohl es davon so viel mehr gibt. Letztlich prägt doch beides meine Persönlichkeit und ich möchte das meiste davon überhaupt nicht missen.
Sonntag: unter Familien
Nun ist Sonntag, aber nicht irgendeiner, sondern es steht eine Konfirmation an. Als ich in die Kirche komme, stehen die Jugendlichen schon aufgeregt im Vorraum. Ich habe selbst bereits meine silberne Konfirmation hinter mir und freue mich, wie stabil dieses Band zu Jesus in diesen vielen Jahren geworden ist und ich mich auch heute noch aus vollem Herzen für ihn entscheiden würde. Als Teil der Gemeindeleitung ziehe ich traditionell mit den 30 Jugendlichen ein. Die Kirche ist bis zum letzten Platz gefüllt. Alle stehen, lächeln und fotografieren. Ich finde es bewegend, wie die jungen Menschen getauft und konfirmiert werden – oder eben gesegnet, wenn sie sich noch nicht für Jesus entscheiden konnten.
Dann ist es soweit. Wie jedes Jahr tritt der Kirchenvorstand gegen die Jugend in einem kleinen Wettkampf an. Dies ist eine weitere Tradition in unserer Gemeinde. Ich bin gleichzeitig aufgeregt und motiviert, da ich gewinnen will. Ich renne durch die Reihen, um Münzen einzusammeln. Die Verwandten und Gäste halten aber zu den Konfis und da bleibt natürlich kein Kleingeld für uns übrig. Es fühlt sich schon ein bisschen unfair an! Trotz allen Einsatzes verlieren wir knapp und die Kirche jubelt.
Ich finde es ja auch gut, dass sich die Familien gegenseitig unterstützen, aber wer hält hier zu mir? Selbst im Vorstand bin ich der einzige Unverheiratete. Einige von ihnen haben heute selbst ein Kind, welches konfirmiert oder getauft wird. Ich spüre wie mein inneres Kind auf sich aufmerksam macht. Einfühlsam ordne ich dieses Empfinden für mich ein. Ich spreche mir selbst den Trost zu, den ich früher gebraucht hätte. Im Hier und Jetzt bin ich aber weder überfordert noch verlassen, sondern nur auf der Gefühlsebene erinnert worden. Nach dieser Zuwendung kann ich die segensreiche Stimmung im Kirchenschiff wieder genießen. Nach dem Gottesdienst finden sich überall Gruppen zu Fotos zusammen. Ich verlasse die Kirche alleine und doch zufrieden.
Einsamkeit: ein Gefühl der Vergangenheit, welches aber heute noch präsent ist
Zugehörigkeit und Einsamkeit lagen bei mir immer wieder nah beieinander. Damit bin ich aber nicht alleine. Bei den Singleveranstaltungen höre ich dies sehr oft. Ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl lässt sich eben auch nicht einfach durch eine Vielzahl von Begegnungen ausgleichen. Es hat eine Weile gedauert, um zu verstehen, dass dies ja unabhängig vom Beziehungsstatus ist. In dieser Woche habe ich doch zu allen drei Gruppen dazugehört. Wahrscheinlich war ich als Teil der Mitarbeiterteams sogar integrierter als andere Teilnehmer und Gottesdienstbesucher.
Dieses sporadische Einsamkeitsempfinden hat auch seine Wurzeln in meiner Lebensgeschichte und nicht in meinem derzeitigen Alltag.
Aus heutiger Sicht klingt es so einleuchtend, aber um dies auch in der jeweiligen Situation erkennen zu können, hat es doch viele Jahre gebraucht. Generell hilft es mir, immer wieder die Ebene zu wechseln und von außen auf mich und meine aktuelle Lebenssituation zu schauen. Ein anderer Blickwinkel und Selbstfürsorge können auch schnell die Gefühlslage verbessern.
Meine bisherige Lebensroute habe ich mir zu einem bedeutenden Teil nicht selbst ausgesucht. Trotz aller Hindernisse hat sie mich dennoch zu meiner Berufung geführt. Die Zukunft kann ich nun aber selbst mitgestalten. Ungeplantes kann sich doch noch als nützlich herausstellen. Den Dünger auf den Feldern empfinden wir schließlich auch als eher unappetitlich, obwohl dieser so nährstoffreich ist. Daher habe ich mich dafür entschieden, aus den herausfordernden Umweg-Erfahrungen meinen eigenen Kompost herzustellen. Bei Seminaren und in der Einzelberatung darf ich nun anderen Menschen eine fruchtbare Erde sein. Für das Wachstum ist dann weiterhin Gott selbst zuständig.
Eine Woche geht zu Ende. Singles, Eltern, Familien und ich mitten drin. Es gab viel Stoff, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Ich durfte mich über zurückliegende Entwicklungsschritte freuen und noch vorhandenen Schmerz erkennen. Die Früchte der Umwege in meinem Leben schmecken köstlich und das macht Appetit für Gottes weiteren Plan. Die Suche nach Gemeinschaft hatte mich loslaufen lassen.
Welche Sehnsucht könnte dein Start sein?