Das Empty-Nest-Syndrom aus Sicht der Tochter
Die Autorin ist der Redaktion bekannt.
Meine Kindheit hatte ich als Kind und Jugendliche immer als sehr glücklich empfunden. Ich wuchs zusammen mit meinen Geschwistern sehr behütet auf. Es wurde viel Wert darauf gelegt, dass wir viel Zeit zusammen verbrachten. Natürlich gab es auch Situationen, die ich als Kind blöd fand, die ich nicht verstand und in denen ich auch verletzt wurde, aber insgesamt war ich ein glückliches Kind.
Als ich älter wurde, bekam ich eine andere Sicht auf meine Kindheit und auch auf die Ehe meiner Eltern. Dies begann, als ich mit Anfang zwanzig auszog. Ich bekam einen Abstand und lernte, mich um meine kleine Wohnung, Haushalt etc. zu kümmern. Meine Mutter hatte mir immer sehr viel vorgeschrieben und vor allem feste Vorstellungen, wie bestimmte Dinge zu laufen hatten. Dies wurde mir nun immer mehr bewusst und ich genoss es, meine eigene Art und Weise zu finden, Dinge zu machen.
Plötzlich wieder zu zweit
Meine beiden Geschwister zogen innerhalb eines Jahres ebenfalls aus. Nicht viel später ging mein Vater in Frührente. Meine Mutter arbeitete in Teilzeit. Meine Eltern hatten zwar einen Freundeskreis, aber dort traf man sich fest verabredet alle zwei Wochen zum Kegeln. Weitere Verabredungen kamen nur sehr selten vor.
Ich hatte den Eindruck, dass sich bei meinen Eltern nun ein riesengroßes Loch auftat.
Die Kinder waren aus dem Haus, mein Vater zu Hause und die meisten Aufgaben, die bisher eine große Rolle gespielt hatten, fielen weg. Auch, wenn sie das mir gegenüber nie gesagt haben, bin ich überzeugt, dass es für sie eine schwere Zeit war. Eine Zeit, in der die Probleme in der Ehe meiner Eltern begannen oder besser gesagt offenbar wurden. Vorher konnten sie sich immer schön beschäftigen mit Arbeit, Haushalt und anderem Alltäglichen. Es war die Zeit, in der sie beide aufhörten, dem anderen gefallen zu wollen, ihm Gutes tun zu wollen – das Miteinander hörte auf. Über vieles (z. B. »Wie geht es dir wirklich?«, »Was sind deine Bedürfnisse?«), wurde schon vorher selten geredet. Sie entfernten sich immer weiter von einander. Mein Vater begann, außerehelich die Erfüllung zu suchen, aber Gott sei Dank entwickelte sich nicht mehr daraus.
Meine Eltern versuchten einen Neustart. Beide waren am Anfang sicherlich bemüht und sie verbrachten wieder mehr Zeit miteinander. Auch gingen sie ein paar Mal zu einer Eheberaterin. Doch diese wurde nach wenigen Stunden beendet. Als ich meine Mutter fragte, warum, meinte sie, dass es keinen Sinn hätte, mein Vater würde nichts ändern wollen.
Sie lebten in dieser Situation weiterhin zusammen. Die Enkel (die Kinder meiner Geschwister) brachten etwas Abwechslung und neue Aufgaben mit sich. Einmal fragten sie mich, ob ich mit ihnen gemeinsam in den Urlaub fahren wollte. Da ich zu der Zeit Single war und auch gerne den Ort wieder besuchen wollte (wir verbrachten dort jahrelang unsere Familienurlaube), sagte ich zu.
Ich merkte, dass es meinen Eltern so gut tat. Meine Mutter hatte jemanden, mit dem sie reden konnte. Mein Vater hatte wahrscheinlich mehr Ruhe. Ich bemühte mich sehr und merkte im Rückblick, dass ich versuchte, die Retterin ihrer Ehe zu sein, nicht nur im Urlaub, sondern auch zu Hause. Mir fiel erst auf, dass der Urlaub für mich nicht besonders erholsam gewesen war, als ich nach Hause fuhr. Ich fühlte mich leer und wie ausgesaugt.
Getrennte Wege
Im Jahr 2013 beschloss meine Mutter, sich vom meinem Vater zu trennen. Ich selbst steckte zu der Zeit in den Vorbereitungen zu meiner eigenen Hochzeit. Obwohl ich um den Zustand wusste, in dem die Ehe meiner Eltern war, traf es mich wie ein Schlag. Ich hatte nicht erwartet, dass meine Mutter diesen Schritt gehen würde. Aber sie war fest entschlossen. Ich merkte, dass ich die beiden und ihre Ehe loslassen musste. Mir war wichtig, in meine eigene Ehe zu investieren und meinen Weg zusammen mit meinem Mann zu gehen.
Seither leben sie an unterschiedlichen Orten. Meine Mutter zog in die Stadt zu meiner Schwester und mir, um näher an uns und ihren Enkeln zu sein. Mein Vater blieb in der früheren Wohnung. Beide sind viel allein, mein Vater noch mehr als meine Mutter. Er hat zu uns Kindern nicht übermäßig viel Kontakt und auch Freunde, Bekannte, Nachbarn sieht er nur selten. Meine Mutter besucht meine Familie und mich einmal die Woche und unterstützte uns vor allem als die Kinder noch klein waren. Es ist oft ein großer Segen, aber zugegeben auch manchmal eine Last.
In unserer Stadt hat sie keine Freunde oder Bekannten gefunden, die Freunde von früher sieht sie nur noch selten. Inzwischen sind beide Eltern auch schon so alt, dass sie weniger mobil und auch gesundheitlich eingeschränkt sind.
Wie es mir damit geht?
Ich konnte bei einer Seelsorgerin viel aufarbeiten und falsche Verantwortung loslassen.
Jahrelang sah ich mich als diejenige, die die Ehe meiner Eltern retten musste.
Ich habe erkannt, dass dies nicht mein Job oder meine Verantwortung ist. Außerdem durfte ich lernen, mir und meinen Eltern (vor allem meiner Mutter) Grenzen zu setzen. Wir sehen uns, wie beschrieben, meistens einmal die Woche und ich sehe mich nicht mehr als »Unterhalterin«.
Mein Mann und ich hatten schon vor unserer Hochzeit besprochen, dass wir in unsere Ehe investieren und auch den Rat von anderen einholen möchten. Wir hatten ganz am Anfang das team-f Seminar »Start in die Ehe« besucht und das war ein großer Segen. Dort waren Mitarbeiterpaare, die schon lange verheiratet und immer noch glücklich waren. Das zu erleben tat so gut. Gott sprach während des Seminars unabhängig voneinander zu meinem Mann und mir, dass wir Mitarbeiter bei team-f werden sollten. Das war für uns ein erster Schritt, der uns Hoffnung und Perspektive für unsere Ehe gab. Seitdem sehen wir es als unseren Weg und Berufung an, in andere (junge) Paare zu investieren.
Ob bei meinem Mann und mir deswegen alles super, harmonisch und glücklich verläuft? NEIN! Wir haben Meinungsverschiedenheiten, Konflikte und scheitern in vielen Dingen. Aber wir sind uns einig, dass wir uns Hilfe holen, wenn wir zu zweit nicht weiterkommen. Vor allem haben wir Gott, der uns immer wieder hilft, den anderen mit seinen Augen zu sehen – das hilft uns und macht uns dankbar!