– von Jakob Deutschmann
Die ältere Dame, die jeden Tag das Geschehen auf der Straße beobachtet. Der alte Mann, der grimmig am Gartenzaun steht und nicht mehr grüßt. Die betagte Nachbarin, die man noch nie gesehen oder ihre Wohnungstür ins Schloss hat fallen hören. Menschen, die im Alter nicht nur allein, sondern vor allem einsam sind – und sich einsam fühlen. Wie oft wundere ich mich über die Art und Weise einer Person und sehe nicht, was in ihr alles so vor sich geht – welche Bedürfnisse ungestillt sind, welche Sehnsüchte langsam versiegen.
Laut des Deutschen Alterssurveys 2020 (DEAS) waren 14 Prozent der 46- bis 90-jährigen Menschen in Deutschland einsam. Die Studie zeigt, dass ein höheres Risiko, einsam zu werden, mit dem Übergang von einer eigenen Wohnung in eine Pflegeeinrichtung besteht. Beträgt der Anteil einsamer Menschen in Privatwohnungen rund 10 Prozent, liegt der Anteil in Heimen bei ca. 35 Prozent. Und wenn ich an meine Besuche von Menschen in Pflegeheimen und an die Gesprächen mit den Senioren denke, dann werden diese Zahlen real und greifbar für mich – leider.
Durch meine Kirchgemeinde und den generationsübergreifenden Hauskreis, in den ich gehe, habe ich nicht nur Kontakt zu älteren Menschen, sondern darf von Herzen von Freundschaften zu Senioren sprechen. Im Gespräch mit einer älteren Freundin über das Thema Einsamkeit im Alter bestätigen sich die Erkenntnisse aus der Studie. Doch wieso ist das so und was können wir dagegen tun?
Erfahrungen einer Seniorin
Eine gute Freundin (ca. 80 Jahre alt) erzählt mir: »Früher war ich voller Minderwertigkeitsgefühle und hatte Hemmungen, dass meine ›Minderbegabtheit‹ in Gemeinschaft mit Anderen bemerkt wird. Dadurch zog ich mich schnell immer wieder zurück und blockierte Kontakte. Ich war oft überrascht, wenn andere in mir Potential entdeckten, das ich gar nicht wahrgenommen hatte. Mittlerweile bin ich selbstbewusst, kenne meine Begabungen, Möglichkeiten und auch meine Grenzen. Wodurch hat sich das geändert? Beim Lesen in der Bibel entdeckte ich, dass Jesus einfache Fischer wie Petrus, Johannes, Jakobus usw. in seine Gemeinschaft gerufen hat. Oder dass Gott David, diesen einfachen Hirtenjungen, zum König bestimmt hat. Viele andere Beispiele machten mich darauf aufmerksam, dass es nicht darum geht, perfekt und fehlerfrei zu sein. Ich entdeckte das Angebot, meine Sorgen, Ängste, Fehlhaltungen, Festlegungen und vieles mehr anzusehen, wahrzunehmen und in die Hände Jesu zu geben. Das machte mich frei.
Ich konnte mich sehen, wie ich bin und aufgrund der Wertschätzung Gottes ein volles JA zu meinen Schwächen und einen guten Umgang mit meinen Minderwertigkeitsgefühlen und Ängsten, die mich sowohl von anderen Menschen als auch von Gott und mir selbst trennten, finden.
Diese Freiheit führte dazu, dass ich an mir arbeitete und mutiger wurde. Ich konnte auch in Gemeinschaft zeigen, dass ich nicht nur alles richtig machen muss, sondern aus Fehlern und falschen Ansichten lernen kann. Da ich allein lebe, war das ein wichtiger Schritt, um nicht in Einsamkeit zu geraten. Ich bin heute manchmal gerne für mich und genieße Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Ebenso bin ich sehr gerne in der Gemeinschaft mit anderen Menschen.«
Sie erzählt mir von gleichaltrigen Freunden und Freundinnen, denen es schwerfällt, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, und die gleichzeitig die Sehnsucht danach haben, gesehen und anerkannt zu werden. Sie hört von Angst davor, Fehler zu machen oder den eigenen oder anderen Ansprüchen nicht zu genügen und sich zu blamieren. Und der Unsicherheit, »was die Anderen denken, wenn ich an Ausflügen oder Gruppenaktionen aufgrund körperlicher Beschwerden nicht teilnehmen kann«.
Manche fühlen sich einsam, weil sie keine Verwandtschaft haben und die guten Freunde schon verstorben sind. Andere fühlen sich trotz Familie und netten Bekanntschaften im Wohnhaus oder Pflegeheim einsam.
Gemeinschaft über Generationen hinweg
Der Malteserbund ermutigt auf seiner Webseite1 mit zehn Tipps gegen Einsamkeit im Alter zu mehr Wohlbefinden:
Tipp 1: Lebensfreude wiederentdecken!
Tipp 2: Struktur im Alltag gegen Einsamkeit im Alter
Tipp 3: Proaktiv – bleibe in Kontakt
Tipp 4: Technik als Chance – man ist nie zu alt
Tipp 5: Mutig netzwerken – »Hallo Nachbar!«
Tipp 6: Ehrenamtliches Engagement finden
Tipp 7: Mehrgenerationenhäuser als Lösung gegen Einsamkeit
Tipp 8: Gehe einem Hobby nach
Tipp 9: In Bewegung bleiben – Sport gegen Einsamkeit
Tipp 10: Mit einem Haustier bist du in guter Gesellschaft
Diese Tipps helfen aus meiner Sicht Jung und Alt und bergen ein großes Potential. Angesprochen hat mich in dem Artikel, dass betont wurde, wie erfrischend es ist, das Lachen in den Alltag zu integrieren: »Lachen ist ein Lebenselixier! Lese, höre und schaue bewusst Beiträge, die dich zum Lachen bringen. Denn: Lachen ist für unsere Seele so wichtig, wie der Sauerstoff für unsere Lungen.«
Oh ja, das kann ich auch als junger Familienvater gut nachvollziehen! Wenn unsere zweijährige Tochter den Senioren aus unserem Hauskreis begegnet, ist Lachen und Freude vorprogrammiert! Da besteht eine ganz besondere Verbindung zwischen den Kleinsten und den Ältesten. Daher kann ich dich nur ermutigen (egal ob alleinstehend, als Paar oder Familie): Suche die Gemeinschaft mit älteren Menschen. Und als ältere Person: Suche die Gemeinschaft mit jüngeren Menschen. Gerade junge Familien freuen sich über ältere Menschen, die ehrliches Interesse an ihren Kindern zeigen und besonders Eltern, deren Eltern wiederum weit weg wohnen, suchen oft händeringend nach »Omas und Opas«, die sie in ihrem Familienalltag entlasten, indem sie Zeit mit ihren Kindern verbringen. In unserer Stadt gibt es ein Netzwerk, das zwischen älteren Menschen und Familien vermittelt. Vielleicht gibt es so etwas auch in deiner Umgebung? Wir erleben als Familie regelmäßig:
Es bringt so viel Vielfalt und Weite ins Leben, wenn wir uns über Generationen hinweg helfen und Freude und Leid miteinander teilen.
Gemeinschaft unter Christen
Neben dem Lachen sehe ich noch einen nicht zu verachtenden Aspekt, der helfen kann, um im Alter nicht einsam zu werden, und auch Halt und Hilfe bietet, älteren Menschen in ihrer Einsamkeit zu begegnen. Das ist für mich und uns Christen der Glaube und die Gemeinschaft als Christen. Ich denke dabei an einige ältere Menschen in meiner Gemeinde, die lange Zeit nicht an unseren Gottesdiensten teilnehmen konnten, da sie die Kraft nicht mehr hatten, in die Gemeinde zu kommen. Seit unser Gottesdienst online übertragen wird und wir in Gemeinde-Chatgruppen einen regen Austausch erleben dürfen – über Alltag, Glaube, Gottesdienst und Gemeindeaktivitäten – berichten Senioren, dass sie sich mit der Gemeinde so verbunden fühlen wie noch nie zuvor. Und das, obwohl sie nicht vor Ort sind. Wie genial!
Ich wünsche mir und uns, dass wir ein waches Auge und einen achtsamen Sinn entwickeln, Menschen, die sich einsam fühlen, Gemeinschaft anzubieten und Begegnungsräume zu schenken – gerade, weil es in zunehmender Einsamkeit immer schwerer fällt, Kontakt zu anderen aufzubauen. Jesus sagt: Du sollst ein Segen sein. Und unsere Mitmenschen werden ein Segen für uns sein.
- https://www.malteser.de/dabei/information-tipps/einsamkeit-im-alter-10-hilfreiche-tipps.html ↩︎