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Ist eine Therapie mit narzisstischen Persönlichkeiten möglich?

Nora Brinkschulte arbeitet in ihrer Praxis für Psychotherapie mit Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Wir haben uns gefragt, ob eine Therapie mit diesen Menschen überhaupt möglich ist und wenn ja unter welchen Bedingungen. Das Interview führte Lena Knaack.

Woran erkenne ich, dass jemand narzisstisch ist? Wie kann ich es abgrenzen von »normalem egoistischen Verhalten«?
Grundsätzlich kann man sagen, dass narzisstische Personen ein überhöhtes Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung haben und dementsprechend im Alltag auftreten. In der Interaktion ist übermäßig stark zu beobachten, dass sie sich als besonders großartig darstellen und sich auf der anderen Seite damit sehr schwer tun, anderen zu helfen und zuvorkommend zu sein.
Normal egoistisches Verhalten ist etwas Gesundes – wenn ich etwas für mich selbst tue, mit dem ich anderen Menschen nicht schade. Narzisstische Menschen schaden anderen mit ihrem Verhalten durchaus und kriegen das häufig gar nicht mit.

Welche Gefühle herrschen bei narzisstischen Persönlichkeiten vor bzw. kennen sie alle Gefühle?
Bei ihnen herrscht ein Gefühl von Großartigkeit vor. Sie glauben ganz fest an sich und wissen in der Regel schon, was sie können und finden sich vordergründig erst einmal toll. Zu den anderen Gefühlen, die eher im Hintergrund schwirren, haben sie eher wenig Zugang. Sie wissen daher meistens nicht, wie es ihnen wirklich geht.

Gibt es ein »Gen«, das für Narzissmus verantwortlich ist oder sind es ausschließlich gesellschafts- und entwicklungsrelevante Störungen?
Aktuell geht man bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung davon aus, dass sie aus einer Kombination aus diesen drei Faktoren entsteht. Zum einen gibt es schon eine genetische Vorbelastung, wenn z. B. ein Elternteil ebenfalls diese Störung hat. Das allein reicht aber nicht, damit ein Kind diese auch entwickelt. Vor allem die Erziehung des Kindes ist dabei entscheidend. Wenig emotionale Wärme und Unterstützung ist ein ganz großer Faktor. Sie erfahren keine bedingungslose Liebe sondern werden nur dann anerkannt, wenn sie eine gewisse Leistung erbringen. Auch werden die Kinder schnell abgelehnt, bestraft und niedergemacht, wenn sie negative Gefühle zeigen. Nur wenn sie besonders gute Leistung erbringen, bekommen sie Anerkennung, Wärme oder auch materielle Belohnung. Wenn diese Glaubenssätze auch in der weiteren Entwicklung z. B. im Kontakt mit Gleichaltrigen nicht korrigiert werden und sie nicht die Erfahrung machen, auch mal schwach sein und Fehler machen zu dürfen, kann sich das ganze zu einer Persönlichkeitsstörung entwickeln.

Welche Beweggründe haben Narzissten, sich in Therapie zu begeben?
Insgesamt kann man sagen, dass diese Menschen eher selten oder erst sehr spät in Therapie gehen. Sie führen meistens ein sehr »erfolgreiches« Leben, sind erfolgreich im Job (oft in Führungspositionen) und sind durchaus sehr lebensfähig – bis zu einem gewissen Grad. Da Narzissmus eine Interaktionsstörung ist, fällt diese erst im Umgang mit anderen Menschen auf. Im Laufe der Jahre hat übermäßig egoistisches Verhalten Einfluss auf die Angehörigen (kaum Empathiefähigkeit, sich selbst immer groß machen, andere sehr stark abwerten, keine Kritikfähigkeit etc.). So gehen oftmals Beziehungen in die Brüche.
Negative Ereignisse, wie das Scheitern der Partnerschaft oder das Verlieren des Jobs wegen Interaktionsschwierigkeiten, können dazu führen, dass die Menschen zusätzlich noch eine psychische Erkrankung wie z. B. eine Depression oder Angststörung entwickeln. Dadurch, dass sich viele narzisstische Personen in die Arbeit stürzen – da das das Einzige ist, was sie gelernt haben – sich maßlos überfordern und viel zu viel aufhalsen, kann es auch zu einem Burnout kommen. Erst dann kommen die Betroffenen zur Therapie. Oder auch, wenn ein Partner/eine Partnerin sagt: »Wenn du nicht in Therapie gehst, verlasse ich dich!« Manchmal wenden sich auch Kinder ab und drohen mit Kontaktabbruch.

Wenn dann diese Menschen z. B. mit einer Depression zu dir kommen, findest du dann schnell heraus, dass eigentlich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung dahinter liegt?
Es kommt drauf an. Manchmal blitzt es schon sehr früh hervor, weil es im Auftreten schon schnell spürbar wird, da sich diese Menschen auch in der Therapie sehr groß machen und als sehr toll darstellen. Schon im Erstgespräch wird dann oftmals vermittelt, dass es ja eigentlich kein Problem gibt. Meistens dauert es ziemlich lange, bis sie sich öffnen können und mal hinter die Fassade blicken lassen. Da braucht es sehr viel Fingerspitzengefühl und Geduld – weil Narzissten dieses Abwerten von Menschen auch mit mir als Therapeutin machen und sehr stark meine Kompetenz hinterfragen. Manchmal ist auch das Gegenteil der Fall, dass ich über die Maßen gelobt werde. Das lässt mich dann schon hellhörig werden.

Was braucht es, um mit einer narzisstischen Person arbeiten zu können und wie lernfähig ist diese?
Definitiv Zeit und eine gute therapeutische Beziehung. D. h., es ist auch oft eine Frage, ob es zwischen Patient/in und Therapeut/in matcht. Ich als Therapeutin muss mich auch darauf einlassen können, mich selbst sehr zurück zu nehmen und auch einen Umgang mit der Abwertung zu finden – mich nicht verunsichern zu lassen und souverän aufzutreten. Ebenso ist es wichtig, dem Betroffenen zu signalisieren, dass er in guten Händen ist und wir den Weg gemeinsam gehen – aber dass der Weg schon sehr holprig wird, da wir es hier mit einer fortgeschrittenen psychischen Erkrankung zu tun haben.
Wir erleben leider oft, dass es scheitert – besonders in der Anfangsphase. Wenn es da nicht gelingt, eine gute Beziehung aufzubauen, werden Therapien oft sehr schnell beendet – auch unschön. Narzisstische Menschen gehen häufig mit Wut da raus. Sie sind sehr leicht kränkbar. Daher sollte man nie zu früh Kritik üben, sondern sehr gewählt schauen, wann man diese anbringt und ob die therapeutische Beziehung schon stark genug ist.

Gibt es irgendwann den Punkt, an dem du dem Patienten/der Patientin dann sagen kannst, dass er/sie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat?
Ich versuche, das irgendwann auch konkret zu benennen, aber erst zu einem späten Zeitpunkt. Einige erleben es tatsächlich auch als Erleichterung, das zu wissen. Ich kann dann besser aufklären, welche Denkmuster die Person hat, die evtl. schwierig sind und welche Grundbedürfnisse sie hat. Eine sehr bedürfnisorientierte Therapie ist dann wichtig, um der Person zu helfen, Fähigkeiten in der Interaktion zu lernen und ihr Leben so zu gestalten, dass sie lebensfähiger, glücklicher und zufriedener wird.
Diese Menschen haben ja meistens die Annahme über sich selbst, dass sie nur etwas wert sind, wenn sie etwas leisten. Also ist es auch viel Arbeit am Selbstwertgefühl – zu vermitteln, dass es viel anderes gibt, das einen Menschen liebenswert macht. Grundlage dafür ist eine echte Motivation. Wenn diese da ist, können diese Menschen sehr viel lernen. Das ist durchaus machbar, aber ein langer Weg.

Ist das Thema nach einer Therapie abgehakt?
Diese Störung wird nie verschwinden, aber es geht darum, dass die Betroffenen lernen, bessere Beziehungen mit anderen Menschen pflegen zu können. Es braucht dafür keine lebenslange Therapie, aber ich würde schon empfehlen, immer wieder in die Selbstreflexion zu gehen. Das kann im professionellen Kontext geschehen oder auch in einer Partnerschaft, in der man sich auf Augenhöhe Feedback geben kann. Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass therapeutische Hilfe über Jahre hinweg nötig sein wird, auch weil oftmals weitere psychische Störungen dazu gekommen sind.

Was muss man beachten, wenn man im näheren Umfeld mit einer narzisstischen Person zu tun hat?Erstmal glaube ich, dass es wichtig ist, selbst ein gutes Selbstwertgefühl zu haben – stark und selbstsicher zu sein. Es ist sehr wichtig, sich nicht unterkriegen und verunsichern zu lassen – was super schwierig ist, weil diese Menschen oft genau wissen, welchen Knopf sie drücken müssen und wie sie verletzen können. Abgrenzung ist daher das Allerwichtigste. Sicherlich ist es auch eine Maßnahme, den Kontakt zu reduzieren und je nachdem, wie ausgeprägt die Störung ist, den Kontakt auch abzubrechen.

Als Therapeutin wirst du ja sehr viel bewertet und in Frage gestellt. Was hilft dir, dennoch dran zu bleiben?
Das Wissen um die Persönlichkeitsstörung. Dass ich weiß, dass es eine Ursache für das Verhalten gibt. Diese Menschen haben in ihrer Kindheit oft viel Pech gehabt und waren eigentlich sehr bedürftige Kinder. In der Regel stecken dahinter sehr verletzliche und sensible Menschen. Und das gilt es, am Ende herauszuarbeiten – dass sie sich auch mal vor anderen verletzlich zeigen dürfen.

Was ist dir wichtig in diesem Zusammenhang noch mitzugeben?
Im privaten Kontext möchte ich mitgeben, sich im Umgang mit narzisstischen Menschen treu zu bleiben, wenn man merkt, dass diese einen verunsichern – das als Chance zu nutzen, am eigenen Selbstwert zu arbeiten und stark zu bleiben. Sicherlich ist es wichtig, das verletzte Kind hinter diesen Menschen zu sehen. Das sollte aber keine Rechtfertigung dafür sein, dass sie andere Menschen abwerten und verletzen dürfen.
Im Therapiesetting würde ich gerne anderen Therapeuten mehr Mut wünschen, sich zu trauen, mit diesen Menschen zu arbeiten und selbst stabil genug zu bleiben, um diese Therapie weiterführen zu können. Die Therapie mit narzisstischen Persönlichkeiten kann durchaus spannend und auch erfolgreich sein. Es ist sogar möglich, dass man auf eine Ebene kommt, auf der man gemeinsam darüber lachen kann, wenn sich die Person wieder besonders toll darstellt. Manchmal schaffen es die Menschen, nicht mehr alles so ernst zu nehmen und selbstironisch zu sein. Das ist dann ein toller Erfolg für mich als Therapeutin.

Zur Interviewpartnerin: Nora Brinkschulte ist Psychologin M.Sc. und Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) und arbeitet seit 2015 in ihrer eigenen Praxis in Münster. Aktuell ist sie in Elternzeit.

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